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EU-Kritik an Deutschlands Pass-Politik. Für Nicht-EU-Bürger ist es schwierig deutscher Staatsbürger zu werden.

© Kai-Uwe Heinrich

Doppelpass: Deutschland schottet sich ab

Wie schwierig es inzwischen für Nicht-EU-Bürger ist, nach Deutschland zu kommen, beklagen nicht nur viele, die es schon versucht haben. Auch Brüssel hat dies der Bundesrepublik nun attestiert.

Wie schwierig es inzwischen für Nicht-EU-Bürger ist, nach Deutschland zu kommen, beklagen nicht nur viele, die es schon versucht haben. Auch Brüssel hat dies der Bundesrepublik nun attestiert: In einem Mahnschreiben an Außenminister Guido Westerwelle (FDP), das dem Tagesspiegel vorliegt, geht Viviane Reding hart mit der deutschen Praxis ins Gericht. Die Vizepräsidentin der EU-Kommission und Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft, kritisiert die mangelhafte Umsetzung der Brüsseler Vorschriften zur Freizügigkeit in deutsches Recht, soweit sie Familienangehörige betrifft, die selbst keinen EU-Pass haben.

Das deutsche Aufenthaltsgesetz, auf das sich die Bundesregierung zurückziehe, gewähre Familienangehörigen von EU-Bürgern nicht die Rechte, die die Brüsseler Richtlinie vorschreibe. „Daher vertritt die Kommission die Auffassung, dass Deutschland die Richtlinie 2004/38/EG in Bezug auf die oben genannten Punkte nicht korrekt umgesetzt hat“, heißt es in Redings Brief an Westerwelle. Auch der deutschen Auffassung, Teile der Brüsseler Richtlinie hätten nur „deklaratorischen Charakter“, seien also nicht bindend, tritt Reding entgegen. Ende August hatte die Kommission mitgeteilt, dass sie gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet habe, äußerte sich aber optimistisch: Der Dialog sei bisher „sehr konstruktiv gewesen“; man prüfe, ob das Verfahren eingestellt werden könne.

Die Antworten auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion, in der es um den Familiennachzug ging, enthalten freilich deutliche Hinweise auf eine unveränderte Hartleibigkeit der Bundesregierung. Obwohl die Juristen der EU-Kommission in einem niederländischen Fall kürzlich festgestellt hatten, dass nationale Sprachtest-Vorschriften nicht den Nachzug von Ehepartnern, Kindern oder anderen Schutzbefohlenen verhindern dürften, heißt es in der Antwort des Bundesinnenministeriums: „Die Regelung zum Sprachnachweiserfordernis (...) sind mit dem Grundgesetz und dem europäischen Recht – insbesondere der Familienzusammenführungsrichtlinie und dem Assoziationsrecht – vereinbar.“ Die niederländischen Behörden hatten ihrerseits Schlussfolgerungen aus der Brüsseler Stellungnahme gezogen und einer Afghanin die Einreise erlaubt, deren Mann und Kinder bereits legal im Land lebten. In dieser Woche nun zog auch die Regierung in Den Haag nach und kippte den verpflichtenden Sprachnachweis vor der Einreise.

Lesen Sie auf der nächsten Seite wo vor Grünen-Ausländerexperte Mehmet Kilic warnt.

Anders Deutschland: Dass zumindest das Innenministerium kein Problem damit zu haben scheint, wenn deutsche Vorschriften im Widerspruch zu europäischen stehen, stellte der Parlamentarische Staatssekretär Ole Schröder (CDU) erst in dieser Woche wieder klar. Auf eine Frage der Linken-Politikerin Sevim Dagdelen antwortete Schröder im Bundestag: „Die Bundesregierung zieht aus der zitierten Stellungnahme der Kommission keine Schlussfolgerungen und weist darauf hin, dass Meinungsverschiedenheiten zwischen Kommission und Bundesregierung vor dem Gerichtshof der Europäischen Union nichts Ungewöhnliches sind.“ Dagdelen nennt das „unerträglich heuchlerisch“. Einerseits fordere „die Bundesregierung von Migrantinnen und Migranten ständig die Beachtung der Rechtsordnung“ ein, sie selbst aber missachte und verletze europäisches Recht. „Die Rechtsbrüche müssen aufhören.“

Das möglichst lückenlose Abdichten der deutschen Grenzen hat – wie in dieser Woche eine Anhörung im Bundestag zur deutschen Visapraxis erneut zeigte – auch für die wachsende Zahl gemischtnationaler Familien ebenso böse wie kuriose Folgen. Die als Expertin geladene Vorsitzende des Verbands binationaler Familien, Hiltrud Stöcker-Zafari, nannte das Beispiel einer russlanddeutschen Familie. Die Eltern leben seit langem in Deutschland, die einzige Tochter konnte mit ihrem russischen Ehemann und dem gemeinsamen Kind bisher ungehindert zu Besuch kommen. Seit die Tochter jedoch selbst einen Antrag gestellt hat, wie ihre Eltern als Spätaussiedlerin anerkannt zu werden, steht sie mit Mann und Kind auf einer schwarzen Liste: Gemeinsame Besuche bei den Großeltern sind nun nicht mehr möglich – und dies, obwohl die Tochter die Ablehnung ihres Antrags ohne Protest hinnahm. Wegen der reestriktiven Visa-Praxis, so Stöcker-Zafari, fehlten in binationalen Familien bei wichtigen Feiern – Taufen,  Hochzeiten, Trauerfällen – immer öfter die ausländischen Verwandten.

Weil die unsichtbaren Grenzbäume auch vor Geschäftsleuten und Wissenschaftlern runtergehen, plädierten Vertreter von Wirtschaft und Wissenschaft in der Anhörung erneut für Visafreiheit mindestens mit Osteuropa: „Der Kalte Krieg ist seit 20 Jahren vorbei, nun müssen wir uns endlich auch von seinen letzten Instrumenten wie der Visapflicht verabschieden“, sagte der Geschäftsführer des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft, Rainer Lindner. Ruprecht Polenz (CDU), der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, regte einen fraktionsübergreifenden Antrag an.

Der Grünen-Ausländerrechtsexperte Mehmet Kilic allerdings warnt, Erleichterungen nur für Ausländer de luxe einzuführen, die mit Geld oder Verbindungen. Die Erzählungen russischer Besucher, denen Visa verweigert oder die trotz Visums an der Grenze zurückgeschickt werden, ähnelten den Erfahrungen türkischer Bürger. „Konsulate und Bundespolizei bestimmen für sie das Gesicht unseres Landes“, sagt Kilic. „Wir können es uns nicht leisten, dem Ausland ein hässliches Gesicht zu zeigen.“

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