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Im deutschen Afrikabild hat das moderne Afrika kaum Platz. Es sei denn, es wird gerade mal wieder der "Chancenkontinent" beschworen wie im Afrika-Konzept der Bundesregierung von 2011. Das Foto zeigt Hebammen im Senegal am Computer.

© AFP

Deutschland und Afrika: 54 Mal anders

Das deutsche Afrikabild schwankt zwischen Extremen – positiven wie negativen. Einmal sind die Bewohner des Kontinents "edle Wilde", und dann gleich arbeitsscheue Entwicklungshindernisse. Eine realistische Einschätzung ist selten.

Seit Beginn der europäischen Entdeckungsfahrten im 15. Jahrhundert ist die Wahrnehmung Afrikas steten Schwankungen unterworfen. Die Gründe dafür liegen im herrschenden Zeitgeist der jeweiligen Epoche und damit verbundenen Überlegenheitsgefühlen, Sehnsüchten oder Ängsten. Oberflächlich betrachtet, konnte sich die Bewertung Afrikas und seiner Bewohner deshalb in Europa binnen kurzer Zeit stark verändern: Ein Beispiel dafür ist die grundsätzlich andere Sichtweise auf Afrika während der Aufklärung und nur 100 Jahre später zu Beginn der industriellen Revolution (1850). Wurden die Menschen in Übersee vom nach Emanzipation strebenden Bürgertum zunächst in der Figur des edlen Wilden idealisiert, wurden die Afrikaner mit Einsetzen der Kolonialära zu einer Art Entwicklungshindernis bei der Landnahme.

Dieses negative Bild veränderte sich erneut nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Rassenwahn der Nazis: War der Europäer im 19. Jahrhundert noch fest von der Überlegenheit seiner eigenen Kultur und deren technischem Segen überzeugt, wurde dieser ungezügelte Fortschrittsglaube durch die Folgen der Unterwerfung von Natur und Mensch tief erschüttert und mündete in einer neuen Menschenrechtskultur und extremen Form von Kulturrelativismus.

Afrika ist ein Projektionsfeld von Hoffnungen und Ängsten

Bei allen Schwankungen findet sich jedoch in der Bewertung Afrikas eine Konstante: Als Projektionsfeld der eigenen Hoffnungen oder Ängste war der vermeintlich dunkle Kontinent fast immer entweder einseitig negativ oder positiv. Symptomatisch dafür ist, dass selbst selbst ein ansonsten eher nüchternes Wirtschaftsmagazin wie der britische „Economist“ Afrika in einer Titelgeschichte im Jahre 2000 zunächst als „hoffnungslosen Kontinent“ verdammen und nur zehn Jahre später mit der Titelgeschichte „Africa rising“ als Hoffnungsträger einer in Schieflage geratenen Weltwirtschaft feiern konnte – ganz so als ob 54 Staaten und mehr als eine Milliarden Menschen binnen eines Jahrzehnts eine derart abrupte Kehrtwende vollziehen könnten. „So wie man sich vor fatalistischem Afropessimissmus hüten sollte, so riskant sind auch Beschönigungen“, schreibt David Signer, Afrikaredakteur der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), ein studierter Ethnologe. Mancher Idealist sei in Afrika aus Enttäuschung schnell zum Rassisten geworden.

Die afrikanische Mittelschicht kann sich über Fotos wie dieses gewaltig aufregen. Schließlich zeigt es ein improvisiertes Flüchtlingscamp in Kamerun an der Grenze zur Zentralafrikanischen Republik. Die afrikanischen Krisen gelten der neuen Mittelschicht als Schande für den Kontinent, und die würden sie lieber beschwiegen wissen.
Die afrikanische Mittelschicht kann sich über Fotos wie dieses gewaltig aufregen. Schließlich zeigt es ein improvisiertes Flüchtlingscamp in Kamerun an der Grenze zur Zentralafrikanischen Republik. Die afrikanischen Krisen gelten der neuen Mittelschicht als Schande für den Kontinent, und die würden sie lieber beschwiegen wissen.

© AFP

In der Tat war Afrika niemals das von Joseph Conrad beschworene „Herz der Finsternis“ noch das Schlaraffenland, das viele Unternehmensberater nun sehen wollen. Die Extreme haben vielmehr dazu geführt, dass inzwischen auch viele Afrikaner über die verzerrte Sicht ihres Kontinents klagen, insbesondere durch die westlichen Medien. Nicht ganz zu Unrecht wird moniert, dass Afrikas 54 Länder zu oft über einen Kamm geschoren und Unterschiede ausgespart werden. Allerdings machen es die Vielzahl der Länder und Kulturen und der rückläufige Platz in den Medien oft schwer, das Doppelleben Afrikas zu präsentieren: auf der einen Seite die unbändige Lebenslust, die Kreativität in der Armut und das Leben im Jetzt, auf der anderen die lähmende Opferhaltung, der Dreck, die fehlende Wartung von Dingen, aber auch die unglaubliche Gleichgültigkeit vieler Afrikaner gegenüber dem Gemeinwohl.

Afrikaner erfahren aus ihren Medien nahezu nichts über den Rest der Welt

Auch unterscheidet sich die afrikanische Sicht des eigenen Kontinents oft schon deshalb viel weniger von der westlichen, weil die afrikanischen Medien selbst kaum über den Tellerrand ihres jeweiligen Landes, geschweige denn des eigenen Kontinents hinausschauen und sich bei der Berichterstattung stattdessen stark an den oft gescholtenen westlichen Medien und Nachrichtenagenturen orientieren. Ebenso selten wird thematisiert, dass man in afrikanischen Medien so gut wie nichts über Europa erfährt, und das geringe Wissen allenfalls aus ein paar Klischees besteht. Die Ressentiments, die viele Afrikaner gegenüber der Einschätzung ihres Kontinents durch die westliche Presse hegen, kommen auch daher, dass die Bereitschaft zur Selbstkritik in Afrika wenig ausgeprägt ist und die Schuld an der Misere gerne den ehemaligen Kolonialisten zugeschoben wird.

Zu der verzerrten Darstellung Afrikas trägt aber auch bei, dass viele europäische Beobachter vor einer widersprüchlichen Darstellung Afrikas zurückschrecken, weil sie befürchten, Afrika durch Berichte über den noch immer tief verwurzelten Aberglauben als unfähig zur Veränderung darzustellen und so womöglich rassistische Klischees zu bedienen. Dabei haben sich gerade Aberglaube und Hexerei, mit denen sich NZZ- Afrikaexperte Signer jahrelang in Westafrika beschäftigte, als hartnäckiges Entwicklungshindernis entpuppt. Vielleicht gerade weil der Kolonialismus einst kulturelle Unterschiede zur Rechtfertigung der politischen und wirtschaftlichen Unterdrückung Afrikas missbraucht hat, werden kontroverse Themen wie markante kulturelle Differenzen heute oft lieber von vornherein ausgeblendet, wodurch das Afrikabild weiter verzerrt wird.

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