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Politik: Deutschland weiß, woran es ist

ENDE DER VERMITTLUNG

Ende Januar, wenn die erste Gehaltsabrechnung des neuen Jahres gedruckt ist, haben wir es vermutlich schwarz auf weiß. Eineinhalb Steuersenkungen, die längst beschlossene zweite Stufe und die nun abgespeckte dritte, bescheren uns allen etliche Euro zusätzlich im Portemonnaie. Dann wartet der Bundesbürger exakt ein Jahr, und Anfang 2005 folgt ein weiterer Senkungsschritt. Erst hernach, wenn die Steuererklärung für 2004 fällig wird, beginnt das Gegenrechnen. Erst dann wird bilanziert, ob die gekürzte Pendlerpauschale einen Großteil des zusätzlichen Geldes wieder frisst.

Das ist im Groben, was der Vermittlungsausschuss dem Normalbürger beschert hat. Regierung und Opposition haben sich geeinigt – dafür ist nun das Land gespalten. War das ein großer Wurf, ein Durchbruch? Oder ist es ein Minimalkonsens, ein fauler Kompromiss, der weder Impulse noch Wachstum bringen wird? Kam nach all dem Gezerre nur ein Reförmchen heraus, sichtbar in der Halbierung der Steuerentlastung für 2004?

Wenn die gesamte Spitze der bundesrepublikanischen Politik sich eine Nacht um die Ohren schlägt, um ein Mammutpaket auseinander und dann wieder zusammenzuschnüren, dann kann sie schon den berechtigten Anspruch erheben, dass das Ergebnis nicht sofort klein geredet und gerechnet wird. Ein Ergebnis, das vor allem darin besteht, dass es Ergebnisse gibt. Deutschlands Politik ist aus dem Stadium der Ankündigungen und Versprechungen in jenes des Handelns gesprungen. Es wurde umgesetzt, was der Kanzler als Agenda 2010 und die Union als Sofortprogramm entworfen haben. Nicht in der Addition der jeweiligen Reformkonzepte, sondern in ihrer gegenseitigen Annäherung.

Vom Geldgeschenk, der größtmöglichen Steuersenkung, ist der Kompromiss ein gutes Stück weit in Richtung Strukturreform und Haushaltssolidität verschoben worden. Nun ist Haushaltssolidität vielleicht ein zu großes Wort für die banalen Motive und Zwänge der Verhandler. Denn mindestens so sehr wie Union und SPD haben sich Bund und Länder geeinigt. Den Letzteren geht es um Etats, die nicht in Schulden ertrinken – um Maastricht geht es herzlich wenig. Auch wenn sich nun alle ihren Beitrag zur Einhaltung der europäischen Stabilitätskriterien auf die Fahnen schreiben.

Dieses Paket bringt keinen Aufschwung. Es kann eine mäßige konjunkturelle Erholung unterstützen, es kann Berechenbarkeit für Bürger und Unternehmen schaffen und ein wenig vom verlorenen Zutrauen in die Kraft der Politik, Machbares auch tatsächlich zu machen, zurückbringen. So weit. Mehr nicht. Ist das aber nicht doch zu wenig?

In seinen Details ist das Paket unübersichtlich. Im Ganzen leistet es unzweifelhaft eines: Nun weiß Deutschland, wer Richtlinien setzt. Solange Rot-Grün die Mehrheit im Bundestag und die Union zugleich ein so deutliches Übergewicht im Bundesrat hat, werden wir von einer improvisierten Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses regiert, der Elefantenrunde. Eine lange, unselige Tradition der gegenseitigen Blockade ist damit durchbrochen. In unterschiedlicher Geschwindigkeit und mit unterschiedlichen Prioritäten gehen beide politische Lager in dieselbe Richtung. Das ist neu. Und die wohl bedeutsamste Einsicht hinter dem Vermittlungs-Konsens. Denn der ist weder ein Sieg von Schröders Regierung noch von Merkels Opposition. Er ist ein Sieg der klammen Kassen, ein Sieg der Länder. Föderales Kuddelmuddel kann man wortreich beklagen. Es ist ein Produkt der vom Volk herbeigewählten Machtverteilung. Und eines muss sich der Vermittlungsausschuss nicht sagen lassen: Er sei eine Kungelrunde hinter verschlossenen Türen. Nie ist transparenter vermittelt worden als hier; nie haben sich die Großen bereitwilliger in die Struktur des Ausschusses einbinden lassen.

Wenn Reformen im Zeitalter des Rotstifts stattfinden, dann schafft Deutschland eines offenbar nicht – den ganz großen Wurf, den wagemutigen Aufbruch. Letztlich ist dies eben nicht nur ein Kompromiss zwischen SPD und Union oder Bund und Ländern, sondern auch einer zwischen Wunsch und Realität. Er definiert präzise die Grenze des derzeit in Deutschland Machbaren. Er leistet damit, was unsere Politik leisten kann.

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