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Politik: Deutschland

DEUTSCHLANDStefanie Scharrenbach,Generation 25„Ich denke viel an die Zukunft, weil das der Ort ist, wo ich den Rest meines Lebens zubringen werde.“Dieser Ausspruch von Woody Allen ist zum Leitspruch der „Jungen Europäischen Bewegung“ geworden.

DEUTSCHLAND

Stefanie Scharrenbach, Generation 25

„Ich denke viel an die Zukunft, weil das der Ort ist, wo ich den Rest meines Lebens zubringen werde.“

Dieser Ausspruch von Woody Allen ist zum Leitspruch der „Jungen Europäischen Bewegung“ geworden. Unsere Zukunft heißt Europa, und wir wollen sie mitgestalten. Manchmal geraten wir jedoch in Erklärungsnöte, wenn uns europakritische Jugendliche fragen, was eigentlich der Mehrwert der europäischen Integration ist. Da helfen keine Statistiken aus wissenschaftlichen Untersuchungen, die beweisen, dass vor allem die Deutschen wirtschaftlich von der europäischen Integration profitiert haben. Auch der Hinweis darauf, dass wir nun seit über 60 Jahren in Frieden mit unseren Nachbarn leben, reißt kaum einen 18-jährigen Deutschen vom Hocker. In meinem Engagement für ein demokratisches und friedliches Europa gibt es zwei einschneidende Erlebnisse. Nach meinem Abitur im Sommer 2001 habe ich ein viermonatiges Praktikum beim Europäischen Parlament gemacht. Ich war überrascht, wie problemlos und mit wie viel Überzeugung Menschen aus damals 15 verschiedenen Mitgliedsstaaten jenseits von allen sprachlichen und kulturellen Unterschieden gemeinsam europäische Politik gestalten wollten.

Das zweite einschneidende Ereignis war eine Reise kurz nach meinem 25. Geburtstag im Sommer 2006. Mit einer Freundin habe ich zunächst Freunde in Albanien besucht. Vor der Reise wusste ich nur wenig über das Land, und so habe ich relativ unvoreingenommen Menschen kennen gelernt, die stolz sind auf ihre Geschichte, die positive Entwicklung ihres Landes und das friedliche Zusammenleben von Muslimen und Christen. Ich bin mit Freunden durch ein Land gereist, in das sich nur wenige Touristen verirren und wo es in der Bevölkerung kaum einen Zweifel gibt, dass man in naher Zukunft Mitglied der Europäischen Union werden sollte und auch mir fiel kein guter Grund ein, was dem im Weg stehen könnte. Auf der Weiterreise durch den Kosovo und das kurz zuvor unabhängig gewordene Montenegro nach Serbien änderte sich die Stimmung. Alle Menschen, denen ich begegnete, egal in welchem Land, sprachen über die Wichtigkeit eines EU-Beitritts für ihre Zukunft, aber von einem guten nachbarschaftlichen Verhältnis war nicht mehr viel zu spüren. Was mir bis dahin nicht bewusst war, ist die Tatsache, dass junge Menschen in meinem Alter 1999 im Kosovo-Krieg als Soldaten gekämpft haben. In Belgrad begegnete ich also Gleichaltrigen, die in einem Krieg gekämpft hatten, die in einem Land aufgewachsen sind, das immer mehr auseinander fällt und in dem es keinesfalls selbstverständlich ist, mit den Nachbarn Freundschaft zu schließen. Ganz abgesehen davon, dass viele gleichaltrige Serben nicht wie ich in der glücklichen Situation sind, ohne besonderen Grund in die umliegenden Staaten reisen zu können. „Wir haben den NATO-Staaten die Angriffe im Sommer 1999 verziehen, aber ich hasse alle Albaner.“ Diese und ähnliche Aussagen von zwei gleichaltrigen Serben haben mir Angst gemacht. Ich bin mir sicher, dass die Staaten des westlichen Balkans in absehbarer Zeit die Kopenhagener Kriterien erfüllen können und Mitglieder der Europäischen Union werden. Aber noch wichtiger als die wirtschaftlichen Daten und ein stabiles demokratisches System scheint mir die Aussöhnung zwischen den Menschen in dieser Region. Ich möchte nicht – und das ist meine ganz persönliche Meinung – dass durch einen verfrühten Beitritt das friedliche Zusammenleben der Menschen in der Europäischen Union gefährdet wird.

Die Autorin, Jahrgang 1981, ist seit 2005 u.a. stellvertretende Vorsitzende der Jungen Europäischen Bewegung.

Burkhard Schwenker, Generation 50

Ein dünnes Büchlein, wenig größer als ein Flugticket, dutzendfach abgestempelt, hat für mich das Zusammenwachsen Europas erfahrbar gemacht. Das Interrail-Ticket, das die damalige Bundesbahn 1972 eingeführt hat, war die Fahrkarte meiner Generation nach Europa. Wir waren die Ersten, die im Europa der offenen Grenzen groß geworden sind. Während die europäische Einigung im Großen voranging und die EU erstmals um drei neue Länder – Irland, Großbritannien und Dänemark – erweitert wurde, haben wir Europa im Kleinen – Bahnhof für Bahnhof und Stadt für Stadt – entdeckt. Dadurch konnten wir fremde Sichtweisen und neue Perspektiven kennenlernen.

Von der Offenheit, die wir uns so aneigneten, haben wir später profitiert. Besonders die neunziger Jahre, in denen meine Generation ihre Karrieren auf- und ausgebaut hat, waren durch den Fall des Eisernen Vorhangs und die Globalisierung von einer unglaublichen Dynamik geprägt, und wer die damit verbundenen Chancen nutzen wollte, musste für Veränderungen offen sein. Für diese wirtschaftliche Dynamik hat übrigens auch die Europäische Union gesorgt. Der Binnenmarkt brachte einen enormen Wachstumsschub – die zusätzliche Wirtschaftsleistung, die wir in den ersten zehn Jahren des Gemeinsamen Markts hatten, wird auf dreistellige Milliardenbeträge geschätzt.

Heute geht es darum, diese Erfolgsgeschichte fortzuschreiben. In meinen Augen sollten wir uns dafür auf die Werte besinnen, die Europa auch in der Vergangenheit vorangebracht haben: Optimismus und Risikobereitschaft, Offenheit und Toleranz und den Mut, nicht nur die Schwächen, sondern auch die Stärken zu sehen.

Der Autor, Jahrgang 1958, kam 1989 zu Roland Berger Strategy Consultants, wo er seit 2003 den Vorsitz der Geschäftsführung inne hat.

Reinhold Würth, Generation 75

Als 2007 72-jähriger kann ich die Entwicklung der Europäischen Union von Anfang an überblicken. Was in diesen 50 Jahren seit der Unterzeichnung der Römischen Verträge entwickelt wurde, ist gewaltig: Ein einheitlicher Wirtschaftsraum, eine immer weiter gedeihende Annäherung der Gesetzgebung und vor allem die Einführung des Euro in den Kernländern der Europäischen Union haben das Zusammenwachsen Europas irreversibel gemacht. Wenn auch Europa in den Köpfen der Bürger als Institution noch eine Nebenrolle spielt, so gibt es doch jedes Jahr besonders während der Reisezeit positive AHA-Erlebnisse, wenn man in Helsinki, Lissabon oder Athen mit dem eigenen Geld bezahlen kann. Über unsere gemeinsamen historischen Wurzeln über Griechen und Römer hinweg, ist die Musik mit Sicherheit eine der engsten Wurzeln unseres gemeinsamen europäischen Denkens: Klassik und Romantik der Europäischen Musikliteratur sind wichtige Wurzeln zur Vollendung eines Europäischen Bundesstaats.

Der Autor, Jahrgang 1935, übernahm als 18-jähriger die väterliche Schraubengroßhandlung, die er zu einem weltweit agierenden Unternehmen mit mehr als 55 000 Beschäftigten ausbaute.

Elke Heidenreich

„Europa, dieser Nasenpopel aus einer Konfirmandennase, wir wollen nach Alaska gehen…“

Mit diesen Zeilen beginnt der junge Arzt Gottfried Benn 1913, siebenundzwanzigjährig, sein Gedicht „Alaska“. Damals war Europa zwar schon mehr als ein Nasenpopel aus einer Konfirmandennase, aber viel mehr als eine Idee nicht. Das hat sich gründlich geändert, und heute fühlen wir – außer augenscheinlich bei Fußball- WM's – eigentlich eher europäisch als national. Die Währung ist einheitlich, die Sprachen sind verschieden, die Kultur verbindet uns mit starken Wurzeln, sehr viel mehr als Politik und Wirtschaft.

Die Autorin, Jahrgang 1943, ist Schriftstellerin, Journalistin und Moderatorin.

Gesine Schwan

Europa empfinde ich als eine faszinierende konkrete Utopie. Wenn wir uns positiv dazu stellen, können wir die europäische Einigung als Erfahrung des Reichtums erleben, den die Vielfalt, die andere Person gerade als andere und zugleich ähnliche wahrzunehmen, bietet.

Darüber hinaus ist Europa das wichtigste politische Projekt meiner Generation. Europäer haben im 20. Jahrhundert zweimal gegeneinander Krieg geführt. Dass dies nie wieder geschehen darf, war die Grundüberzeugung aller Pro-Europäer nach dem Zweiten Weltkrieg. Heute ist es unwahrscheinlich, dass alte Erbfeinde wie Deutschland und Frankreich sich jemals wieder bekriegen. Dies mag jungen Menschen selbstverständlich erscheinen und ist doch eine geradezu atemberaubende Entwicklung der letzten 62 Jahre.

Die Autorin, Jahrgang 1943, ist seit 1999 Rektorin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder.

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