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© Georg Moritz

FDP-Generalsekretär Christian Lindner: "Der Staat ist ein teurer Schwächling"

FDP-Generalsekretär Christian Lindner spricht mit dem Tagesspiegel über das liberale Gesellschaftsbild, den Zustand der Koalition – und die Befindlichkeit der Union.

Herr Lindner, haben Sie heute Säbel oder Florett im Gepäck?



Ich bin ganz unbewaffnet gekommen.

Sie sagten bei Ihrer Vorstellung zum Generalsekretär, Sie agieren gerne vor der Front, aber mit Florett. Agiert die FDP zurzeit nicht mit dem Holzhammer?

Nein, wie kommen Sie darauf?

Westerwelle droht mit Boykott, Brüderle beharrt auf der großen Steuerreform, Fraktionschefin Homburger fordert im Generalton weitere Steuersenkungen. Ist das die liberale Art der Basta-Politik?

Bei unseren Überzeugungen legen wir auch in einer Koalition kein Schweigegelübde ab. Die FDP hat darauf aufmerksam gemacht, dass es zwischen den Partnern Vereinbarungen gibt. Gelegentlich war diese Erinnerung notwendig. Es ist ja verabredet, dass wir für Familien und den Mittelstand Entlastungen brauchen.

Muss die FDP so kompromisslos sein, weil es die Kanzlerin nicht ist?

Wir sind nicht kompromisslos. Der Koalitionsvertrag selbst ist ein Kompromiss, wenngleich ein guter aus Sicht der FDP. Das, was verabredet worden ist, muss ins Gesetzblatt. Berechenbarkeit muss Markenzeichen der Koalition bleiben: Wir halten, was wir versprechen.

Was ist denn die Konsequenz, wenn die Versprechen nicht gehalten werden?

Unser Handeln gibt keinen Anlass für solche Spekulationen. Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz zeigt in der Steuerpolitik bereits die neue Richtung: Nach Jahren immer neuer Belastungen gibt es jetzt Entlastungen. Die ersten Ergebnisse sind gut, der weitere Prozess wird es auch.

Dann ist ja alles klar, welches Signal soll denn noch vom Dreikönigstreffen der Liberalen nächste Woche ausgehen?

Dass die FDP tatendurstig in das neue Jahr geht. Wir wollen was Gutes aus unserer Verantwortung machen. Wir können bereits belegen, dass die Leute einen konkreten Vorteil davon haben, dass wir den Kurs des Landes mitbestimmen. Wir wollen der Kompass der Koalition sein, wenn es nun darum geht, die von uns angestoßene Gesundheitsreform umzusetzen, den Haushalt zu sanieren und die grundlegende Steuerreform für 2011 auf den Weg zu bringen.

SPD-Chef Sigmar Gabriel will in Deutschland Widerstand gegen die Finanzpolitik der schwarz-gelben Bundesregierung organisieren und fordert eine Bürgerbewegung gegen den Staatsbankrott in Deutschland. Die FDP ist ja für Bürgerbewegungen …

Herr Gabriel hat in seinem Furor offenbar übersehen, dass es bereits eine Bürgerbewegung gab, nämlich die letzte Bundestagswahl. Eine gegen immer mehr staatlichen Zugriff auf die Privatsphäre und private Brieftaschen. Übrigens ist auch seine krude Vorstellung abgewählt worden, dass der Staat mit seinen Politikern und Beamten besser wüsste, was Gemeinwohl ist, als die Bürger selbst.

Gilt Ihr Satz, es sei schwammig, was die CDU wolle?

Sehen Sie dort denn ein klares Gesellschaftsbild? Nur wer eine Vorstellung hat, auf welche Gesellschaft er hinarbeitet und wie er zwischen Werten im Konflikt abwägt, der behält im politischen Getümmel die Orientierung. Bei vielen Wertfragen fehlt der Union eine klare Präferenz – zwischen Freiheit und Gleichheit etwa.

Welche Gesellschaft schwebt der FDP vor?

Wir wollen eine neue Balance von Staat und Privat. Gegenwärtig ist der Staat ein teurer Schwächling, der sich immer mehr Einfluss anmaßt. Mir scheint, dass die Bürokratisierung eine der Hauptgefährdungen der Freiheit ist. Wir wollen einen fokussierten Staat, handlungsfähig in seinen Kernaufgaben, der aber ansonsten dem Engagement der Bürger Raum lässt.

Sie sind als Generalsekretär auch angetreten, um, wie Sie sagten, die Partei zu einer Denkfabrik zu machen. Dann versuchen Sie doch mal die drei folgenden Zitate von Ihnen mit Inhalt zu füllen? „Aktivieren ist sozialer als Alimentieren.“

Für uns ist Erwerbsarbeit nicht nur Einkommenssicherung. Sie ist aktive Teilhabe an der Gesellschaft. Man reift nicht zu Hause auf der Couch zur Persönlichkeit. Arbeit ist Quelle von Selbstvertrauen. Deshalb ist es human, alles zu tun, um Menschen für Arbeit zu aktivieren. Ein Sozialstaat, der nur Taschengeld überweist, ist nicht human.

„Deutschland leidet an der Gleichheitskrankheit.“

Die Analyse ist richtig, das Urheberrecht für den Begriff liegt aber bei Verfassungsrichter Udo Steiner. Wir haben egalitäre Vorstellungen in Deutschland – nicht nur bei der Einkommensverteilung. Ungleichheit ist nicht per se illegitim. Wenn allen faire Chancen eröffnet werden und gleiche Regeln herrschen, dann ist Ungleichheit schlicht Konsequenz individueller Freiheit. Ungleichheit wird jedoch illegitim, wenn wie bei der Finanzkrise Einzelne von Regelverstößen profitieren wollen.

„Fairness statt sozialer Gerechtigkeit.“

Zu verkürzt. Ich interpretiere soziale Gerechtigkeit als Fairness. Ich persönlich ziehe diesen Begriff vor, weil das herkömmliche Verständnis von sozialer Gerechtigkeit inzwischen gleichbedeutend mit Gleichheit ist. Fairness heißt klare Regeln, ethisches Miteinander, Anerkennung vor Leistung, Hilfe für Bedürftige.

Sie wollen die Menschen zwingen, gute Bürger zu sein.

Ich denke nicht gering von Menschen. Klar ist: Wer kein aktives Mitglied der Gesellschaft sein kann, braucht Solidarität. Wer nicht aktiv sein will, kann nicht auf Solidarität rechnen. Solidarität ist keine Einbahnstraße. Die Hartz-Reformen sind dem Prinzip Fordern und Fördern gefolgt.

Muss noch mehr gefordert werden?

Ich reduziere das nicht auf das Fordern. Sozialer Aufstieg muss leichter werden. Beispielsweise die Regelungen zur geringfügigen Beschäftigung behindern diesen Aufstieg unter bestimmten Bedingungen. Es gibt dort negative Nettoeffekte: Jemand arbeitet eine Stunde mehr, hat aber weniger in der Tasche. Da wirft der Sozialstaat den Menschen, die sich ihren Aufstieg erarbeiten wollen, Knüppel zwischen die Beine.

Hartz ist unfair?

Die Gesamtanlage unseres Sozialstaats ist nicht durchgehend fair, ja. Zu oft wird Fleiß nicht gewürdigt, sondern gehemmt. Deshalb will die Koalition ja prüfen, ob wir zu einem Bürgergeldsystem kommen. Das wäre eine Innovation in der Sozialpolitik.

Sie wollen sozialen Ausgleich allein über das Steuersystem regeln. Was ist fair daran, wenn man bei Ihrem System nie weiß, wie hoch das Steueraufkommen ist und wie sich der politische Wille, es in Ihrem Sinne einzusetzen, wandelt.

Nehmen Sie die gesetzliche Krankenversicherung, in der weitgehend intern ein Sozialausgleich hergestellt wird. Intern heißt, dass nur die gesetzlich Versicherten einbezogen sind. Unser Prämienmodell setzt dagegen auf einen fairen Sozialausgleich über das Steuersystem. Dann sind alle Steuerzahler in das Solidarprinzip einbezogen. Im Unterschied zur von der SPD angestrebten Einheitskasse bleibt der Staat im Gesundheitssystem selbst aber außen vor.

Ohne ausreichend Steuern oder Steuerzahler ist das System nichts wert.

Das ist bei einem Abgabensystem genauso. Das Steuersystem macht aber entgegen anderslautenden Gerüchten transparent, wie viel Umverteilung wir schon haben.

Herr Lindner, Ihr Parteifreund und Gesundheitsminister Philipp Rösler ist 37 und sagt, mit 45 ist definitiv Schluss mit Politik. Sie werden 31, wann ist bei Ihnen Ende?

Ich habe dafür keinen Plan.

Das Gespräch führte Armin Lehmann.

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