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Förderung: Jungs – das neue schwache Geschlecht

Union und FDP wollen Jungen und Männer stärker fördern. Jetzt hat das Familienministerium ein eigenes Referat dafür eingerichtet.

Von Anna Sauerbrey

Berlin - Noch klingt es unvertraut, das Wort „Jungenförderung“. Doch die Sache hat das Zeug zum politischen Ohrwurm. Es scheint, als werde in der Familienpolitik eine Wende eingeleitet, die nach Frauen und Migranten nun auch Jungen als förderungsbedürftig anerkennt. Im Koalitionsvertrag ist das bereits verankert. „Wir wollen eine eigenständige Jungen- und Männerpolitik entwickeln“, heißt es dort. Im Familienministerium wird nun mit der Umsetzung begonnen. Die Mitarbeiter des ersten Referats für Jungenförderung haben ihre Büros bezogen. Die Initiative zur Einrichtung dieser neuen Abteilung ging noch von Ursula von der Leyen (CDU) aus. Doch ihre Nachfolgerin, Kristina Köhler (CDU), hat sich in einem Interview bereits zur Jungenpolitik bekannt. Vor allem das Bildungssystem benachteilige Jungen systematisch, begründet Miriam Gruß, familienpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, ihr Engagement für die Aufnahme der entsprechenden Passage in den Koalitionsvertrag.

Die Wissenschaft gibt ihr recht. An den pädagogischen Instituten der Republik hat sich der Paradigmenwechsel bereits vollzogen, weg von der Vorstellung, dass nur Mädchen und Frauen benachteiligt werden. „Aus wissenschaftlicher Sicht ist Jungenförderung ganz offensichtlich notwendig“, sagt Wilfried Bos, Professor an der TU Dortmund und Mitglied im Aktionsrat Bildung, einem Expertengremium von Bildungswissenschaftlern. Alle größeren internationalen Bildungsstudien der vergangenen Jahre von PIRLS über TIMSS bis Pisa weisen deutliche Unterschiede zwischen den Leistungen von Mädchen und Jungen auf, meist zu Ungunsten der letzteren, und belegen gleichzeitig, dass es sich nicht um ein spezifisch deutsches Problem handelt. Der Aktionsrat Bildung spricht in einem aktuellen Bericht zusammenfassend von einer „eklatanten Minderbeteiligung von Jungen an höheren Formen des Bildungsgeschehens“. Das heißt konkret: Jungen können schlechter lesen, sind ab der achten Klasse auch schlechter in Mathe, erhalten weniger häufig Gymnasialempfehlungen, gehen deutlich öfter ohne Abschluss von der Schule ab und machen das schlechtere Abitur.

Auch in der Praxis werden Politikerinnen wie Miriam Gruß und Kristina Köhler viele Verbündete für ihre Jungenpolitik finden. „Wir sind uns seit langem bewusst, dass Jungen andere Aufmerksamkeit und eine andere Herangehensweise brauchen als Mädchen“, sagt etwa Jürgen Schwochow, Geschäftsführer des Evangelischen Kita-Verbands Berlin-Brandenburg. Auch Inge Hirschmann, selbst Grundschullehrerin und Vorsitzende des Berliner Grundschulverbandes, kennt das Problem und wünscht sich Abhilfe von Seiten der Politik.

Angesetzt werden müsste wohl an vielen Punkten, denn die Ursachen für die schlechteren Leistungen von Jungen sind vielfältig. In Deutschland werden die Daten teilweise verzerrt durch das besonders schlechte Abschneiden männlicher Migranten. Dies sei aber nicht der alleinige Grund für die Differenz zwischen den Geschlechtern, so Wilfried Bos. „Auch die Elternerziehung spielt eine Rolle“, sagt der Bildungswissenschaftler. „Geschlechterspezifische Klischees sind in der Erziehung noch weit verbreitet.“ Zudem orientiere sich der Schulunterricht gelegentlich stärker an Interessen und Neigungen, die als mädchenspezifisch gelten.

Neben tatsächlichen Leistungsunterschieden ist aber auch ungleiche Behandlung belegt. „Jungen müssen mehr Leistung bringen, um gleiche Noten zu erhalten, auch für eine Gymnasialempfehlung müssen sie mehr tun", so Wilfried Bos. Darüber, wie genau Jungenförderung aussehen könnte, ist bislang wenig zu erfahren. „Wir haben uns in der Koalition noch nicht auf konkrete Schritte verständigt und auch noch nicht mit den Ländern gesprochen. Es muss aber mehr sein als ein Boys’ Day im Jahr“, sagt Miriam Gruß. Eine Forderung, die immer wieder genannt wird, ist es, mehr Männer für pädagogische Berufe zu begeistern. Jungen, da sind sich Bildungsforscher und Praktiker einig, fehlt es im weiblich geprägten Bildungssystem an positiven Rollenbildern. Doch Erzieher zu finden ist schwierig, berichtet Jürgen Schwochow: „Die meisten Männer können sich nicht dauerhaft für den Erzieherberuf begeistern, weniger aus mangelndem Interesse als vielmehr aus finanziellen Gründen.“ Der Aktionsrat Bildung fordert deshalb ebenso wie Miriam Gruß eine bessere Bezahlung von Erziehern.

Angesichts der angespannten Haushaltslage dürfte Gruß es mit dieser Forderung schwer haben. Bis ihre Förderung politisch auf die Beine kommt, müssen sich die Jungen also an einige durchaus tröstende Ergebnisse der Bildungsstudien halten. Erstens: Jungen interessieren sich für das Richtige. Zwar sind Mädchen in naturwissenschaftlichen und technischen Fächern ähnlich gut wie Jungen, mögen sie aber weniger und studieren sie seltener – obwohl ein Ingenieursstudium einen besseren Verdienst verspricht als ein Studium der Germanistik. Zweitens: Jungen haben mehr Selbstvertrauen. In der Pisa-Gender-Studie 2009 heißt es: „Die größte Stärke von Jungen neben ihren mathematischen Fähigkeiten ist ihr Vertrauen darin, Aufgaben bewältigen zu können, selbst dann, wenn sie ihnen Schwierigkeiten bereiten.“

Diese Eigenschaften scheinen Jungen weiterhin bestens auf das Leben nach der Schule vorzubereiten. Denn zumindest die, die es bis durch ein Studium schaffen, ziehen danach finanziell und auf der Karriereleiter schnell an ihren braven ehemaligen Mitschülerinnen vorbei.

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