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Pflege: Netze spannen

Die Union sieht die Versorgung Demenzkranker als „gigantische Herausforderung“. Die Betreuung ist bisher oft zu teuer.

Berlin - Ganz einig scheinen sich die Unionsexpertinnen noch nicht zu sein. Während die gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion, Annette Widmann- Mauz, behauptet, dass das Krankheitsbild der Demenz „schon lange kein Tabuthema mehr“ sei, beklagt Familienministerin Ursula von der Leyen genau das Gegenteil. Unionsintern aber ist die Brisanz des Themas offenbar erkannt. Wegen des unerwartet hohen Interesses an einer dreistündigen Fachtagung zum Thema Pflegeassistenz muss die Fraktion am Montag in einen weit größeren Saal umziehen. Und Fraktionschef Volker Kauder selbst tritt ans Rednerpult, spricht von einer „gigantischen Herausforderung“ und meint damit nicht die aktuelle Wirtschaftskrise.

Leyen nimmt später nochmals darauf Bezug. Die andere Krise, die auf dieses Land zukomme, sei „von mindestens ebensolcher Bedeutung“ und werde die Gesellschaft noch „viel nachhaltiger berühren“, warnt sie. 1,2 Millionen Demenzkranke leben in Deutschland, jedes Jahr kommen 250 000 hinzu, 2030 könnten es zwei Millionen sein. Und in mehr als zwei von drei Fällen kümmerten sich Angehörige zuhause um die hinfällig und orientierungslos Gewordenen. Diese Menschen, Erkrankte wie Pflegende, benötigten „neue Formen der Hilfe“, drängt die CDU-Politikerin. Zwischen Familie und Fachkräften müssten ebenso pragmatische wie einfühlsame Pflegehelfer zum Einsatz kommen. „Wir müssen ein  Netz spannen, damit die Angehörigen nicht im Hamsterrad der Erschöpfung und Verzweiflung zugrunde gehen.“

Die Ministerin spricht nicht von ihrem Vater, dem früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht. Sie erwähnt aber die Debatte über die Erkrankung des einst glänzenden Rhetorikers Walter Jens. Und sie mahnt, dass es „höchste Zeit“ sei, das Jammern über die schlimmen Folgen von Demenz und die Diskussion über Sterbehilfe als Ausweg zu beenden. „Damit zieht man alten Menschen und Pflegenden den Boden unter den Füßen weg“. Nötig sei ein „ethisches Koordinatensystem“, das sich an der Menschenwürde orientiere. „Wer gibt uns das Recht aus der Sicht des scheinbar Gesunden über die Lebensqualität eines Demenzkranken zu urteilen?“ Fünf bis acht Jahre dauere die Krankheit im Schnitt, und auch im fortgeschrittenen Stadium könne sie noch „Glücksmomente“ bereithalten – die man dann aber auch „hervorbringen“ und begleiten müsse.

Vorlesen, Musizieren, Spazierengehen – gerade Demenzkranke benötigten solche Aktivierung, betont Widmann-Mauz. Professionellen Pflegekräften fehle dafür aber meist die Zeit. Auch Fraktionschef Kauder plädiert für den Einsatz von mehr zwischengeschalteten Betreuungsassistenten. Die Zahl der Kranken und Pflegebedürftigen richte sich nicht nach der wirtschaftlichen Entwicklung, sagt er. Allerdings könne man für diese Arbeit auch „nicht grenzenlos Mittel zur Verfügung stellen“. Sein Tipp: Runter mit den bisherigen Qualifikations-Hürden. „Es muss auch möglich sein, mit dem Hauptschulabschluss in solche Berufe zu kommen.“

Das Problem liege ja nicht in fehlender fachlicher Pflege, bekräftigt NRW-Sozialminister Karl Josef Laumann. Angehörige bräuchten vor allem Hilfe bei der Betreuung, könnten sich diese aber meist nicht leisten. Die Beschäftigung von Osteuropäerinnen sei daher „zum Massenphänomen geworden“. Laumann ärgert das, bei allem Verständnis. Man dürfe die Bürger „nicht dazu zwingen, gegen Gesetze zu verstoßen“, sagt er.Helfen könne nur der Aufbau „verlässlicher und bezahlbarer Betreuungsstrukturen“ – man müsse Pools auf regionaler Ebene schaffen und die Betreuungsassistenz klar als „niedrigschwelligen Beruf“ definieren. Finanziell liege die „Schallgrenze“, so Laumanns Erfahrung, bei zehn Euro pro Stunde. Hilfen die teurer seien, würden nicht angenommen.

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