zum Hauptinhalt

Pflege: Stiefkind der Politik

Stückwerk, Feigheit, Ratlosigkeit. Die Pflege ist und bleibt ein Stiefkind der Politik. Der Grund dafür ist einfach. Niemand wagt es, eine sehr unangenehme Wahrheit auszusprechen: dass diese Zukunftsaufgabe Geld kostet, dass Alte und Kranke unserer Fürsorge ebenso sehr bedürfen wie Kinder und Jugendliche.

Es ist still geworden. Erstaunlich still. Als wäre das nicht ein Thema, das zum Himmel schreit. Pflege. Diese riesenhafte Aufgabe, diese Notlage, in die immer mehr Menschen geraten. Über zwei Millionen sind heute schon betreuungsbedürftig, bald werden es drei sein und in der Mitte des Jahrhunderts an die die fünf. Wer wird sich um sie kümmern, den Familien helfen, die oft daran verzweifeln? Und wer soll das bezahlen?

Gründe genug, das Thema auf der Liste der politischen Dringlichkeiten ganz oben zu platzieren. Es wird unsere Lebenswirklichkeit bestimmen wie wenig andere. Aber was geschieht? Es geschieht – nichts. Kaum ein Wort hat die schwarz-gelbe Regierung, die nun schon fast ein halbes Jahr im Amt ist, dazu verloren. Sie drückt sich, schweigt es tot. Und der zuständige Gesundheitsminister Philipp Rösler scheint sich – wie kürzlich bei „Beckmann“ zu besichtigen – kaum dafür zu interessieren.

Wie schön, dass jetzt endlich jemand den Mut hatte, das ungeliebte Problem anzusprechen: Kristina Schröder, ausgerechnet sie, die junge Familienministerin. Ein Modell hat sie vorgeschlagen, das es Angehörigen erleichtern soll, neben ihrer Berufstätigkeit Zeit für die Pflege aufzubringen. Das ist aller Ehren wert, weil es die Rückkehr des Themas auf die politische Agenda einleiten könnte.

In der Sache freilich ist ihr Vorstoß eher ein hilfloser Versuch. Denn er geht an den Realitäten vorbei. Mit ihrem auf zwei Jahre begrenzten Modell unterschlägt sie, dass die durchschnittliche Pflegezeit heute 8,2 Jahre beträgt. Außerdem wird es Menschen, die einen Angehörigen zu Hause haben, der 24 Stunden am Tag betreut werden muss, kaum gelingen, nebenher noch einer – wenn auch reduzierten – Arbeit nachzugehen. Die Doppelbelastung wird für viele unerträglich sein, und freuen können sich eigentlich nur diejenigen, die mit der stationären Pflege Milliarden verdienen. Weil am Ende doch wieder nur ein Ausweg bleibt: das Heim.

Besser als gar nichts – das ist das einzige Gütesiegel, das der Vorschlag der Ministerin verdient. Aber genau das ist die Crux. Besser als gar nichts ist der Grundsatz, der die Pflegediskussion seit Jahren begleitet. Nach diesem Muster verfuhr schon die große Koalition, als sie bei der versprochenen grundlegenden Pflegereform scheiterte und es bei der Verteilung von Almosen beließ: hier zehn Euro mehr aus der Pflegekasse, dort zwanzig. Niemandem war damit geholfen. Oder die vollmundige Ankündigung, von nun an werde endlich Transparenz eingeführt und die Qualität aller Heime mit Schulnoten öffentlich bewertet. Das Ergebnis war grotesk: Weil den Wünschen der Pflegelobby allzu willfährig nachgegeben wurde, kamen plötzlich fast alle Heime mit der Note eins oder zwei aus den Tests heraus.

Stückwerk, Feigheit, Ratlosigkeit. Die Pflege ist und bleibt ein Stiefkind der Politik. Der Grund dafür ist einfach. Niemand wagt es, eine sehr unangenehme Wahrheit auszusprechen: dass diese Zukunftsaufgabe Geld kostet, dass Alte und Kranke unserer Fürsorge ebenso sehr bedürfen wie Kinder und Jugendliche. Stattdessen wird nach der Devise verfahren: Der billigste Pflegedienst ist immer noch die Familie.

Da sich daran offenbar nichts ändert, wird die Zahl illegaler Pflegekräfte weiter steigen. Schon heute sind es 150 000 Osteuropäerinnen, die jene Arbeit machen, für die die Politik keine Lösung hat. Ohne sie würde das deutsche Pflegesystem von einem Tag auf den anderen kollabieren.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false