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Rechtsextremismus: Frau sucht Führer

Immer mehr Rechtsextreme sind weiblich. Die Grünen warnen schon vor einem Risiko für die Zukunft.

Von Frank Jansen

Berlin - Ein zentraler Begriff im Leben von Tanja Privenau lautet: Vorsicht. Bei der Tagung in Berlin dürfen von ihr keine Fotos gemacht werden. Ein junger Mann passt auf, dass niemand eine Kamera oder ein Fotohandy zückt. Die Veranstaltung zum Thema „Frauen und Rechtsextremismus“ findet im gut geschützten Centrum Judaicum statt – hier kommt niemand rein, der verdächtig erscheint. Die Wachsamkeit ist notwendig: Seit Privenau vor vier Jahren die rechtsextreme Szene verlassen hat, wird sie von einstigen „Kameraden“ verfolgt. Sie sah sich gezwungen, siebenmal mit ihren Kindern umzuziehen. „Der Ausstieg hat sich als unheimlich hart herausgestellt“, sagt Privenau. Und er sei angesichts der Bedrohung „immer noch nicht abgeschlossen“.

Die freundlich auftretende, 37 Jahre alte Mutter von fünf Kindern war jahrelang eine Größe im braunen Milieu. Sie brachte es in der männerdominierten Szene sogar zur Anführerin einer „Kameradschaft“ von Neonazis. Sie sei so tief eingetaucht, weil „die radikalen Forderungen, etwa nach der Einführung der Todesstrafe für Kinderschänder, mir genauso gefallen haben wie die Musik – und die ,echten‘ Männer“. Privenau war nicht die einzige Frau, die sich begeistern konnte: „Ich habe Frauenkreise gegründet, die sich später dem ,Ring Nationaler Frauen‘ (RNF) angeschlossen haben“, erzählt sie. Der RNF gehört zur NPD.

Privenau ist auf der Tagung am vergangenen Donnerstag eine Art Kronzeugin für die These der Veranstalter, der Amadeu-Antonio- Stiftung und der Berliner Grünen, die Öffentlichkeit müsse für das schwierige Thema Frauen und Rechtsextremismus stärker sensibilisiert werden. „Rechtsextreme Frauen werden viel weniger wahrgenommen als Männer, dabei gibt es immer öfter auch reine Frauengruppen“, sagt Esther Lehnert von der Berliner Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR). Außerdem meldeten unauffällig erscheinende Rechtsextremistinnen Aufmärsche an und mieteten Räumlichkeiten für Veranstaltungen. Die Szene selbst messe Frauen „vermehrt Bedeutung zu“, schreibt der Berliner Verfassungsschutz in einer internen Analyse. Weibliche Mitglieder der Szene deckten „ein großes Spektrum an Funktionen, Orientierungen und Handlungsmustern ab“, manchmal sogar ideologisch radikaler als die Männer – aber „unterhalb der Führungsebene“. Und Frauen seien im Rechtsextremismus „quantitativ generell unterrepräsentiert“, eine „erhöhte sicherheitspolitische Bedeutung“ komme ihnen nicht zu. Ein Beispiel: Der Anteil weiblicher Tatverdächtiger an rechten Delikten in Berlin liege bei sieben Prozent.

Entwarnung gibt der Verfassungsschutz jedoch nicht und verweist auf Umfragen, wonach Frauen „in gleichem Maß wie Männer zu rechtsextremistischen Einstellungen neigen“. Wovon die NPD schon profitiert hat: In Sachsen haben 2004 laut Forschungsgruppe Wahlen immerhin 14 Prozent der Frauen im Alter zwischen 18 und 29 Jahren die NPD gewählt. Bundesweit stellten Frauen ein Drittel der Wählerschaft rechtsextremer Parteien, berichtet die Göttinger Frauenforscherin Johanna Sigl auf der Tagung. Die weibliche Mitgliedschaft in rechtsextremen Vereinigungen bewege sich zwischen zehn Prozent bei Neonazi-Cliquen und 27 Prozent bei der NPD.

Ein Frauenprojekt, das sich gegen den schleichenden Einzug rechter Propaganda in die Zivilgesellschaft einsetzt, ist „Lola für Lulu“ in Mecklenburg-Vorpommern, wo die NPD im Landtag sitzt und regional verankert ist. „Wir unterstützen Frauen im Landkreis Ludwigslust, sich gegen Rechtsextremismus zu engagieren“, sagt Heike Radvan von Lola für Lulu auf der Tagung. Radvan berichtet von Erzieherinnen, die mit rechtsextremen Müttern konfrontiert sind. „Die sagen zu ihren Kindern ,Heil Odin‘ und fordern im Kindergarten biodynamisches Essen“.

Um Rechtsextremismus bei Frauen zu bekämpfen, müsse die Regierung mehr Geld in die Jugendarbeit stecken, fordert auf der Tagung Renate Künast, Chefin der grünen Bundestagsfraktion: „Sonst entsteht ein systemisches Risiko für die Zukunft!“ Neben anderen Projekten und Forschung zum Thema müssten auch nicht-staatliche Aussteigerprogramme wie „Exit“ dauerhaft finanziert werden. Exit hat Tanja Privenau beim Ausstieg von Beginn an unterstützt. Etwa 25 der 300 Aussteiger, die Exit bislang betreut hat, seien Frauen, sagt der Leiter der Initiative, Bernd Wagner, am Rande der Tagung. Die problematische Situation der Aussteigerinnen, erst recht wenn sie Kinder haben, werde unterschätzt, klagt er.

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