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Kommunalwahl NRW: Türkischstämmige Kölner wollen mitmischen

Es ist ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik: Erstmals tritt in Nordrhein-Westfalen eine Wählergemeinschaft an, die ausschließlich aus Migranten besteht.

So etwas wie ein Organisationsbüro oder eine Wahlkampfzentrale gibt es nicht. Noch nicht. Vielleicht bei der nächsten Wahl? "Wir sind noch nicht so professionell. Das Wichtigste für uns ist, dass wir jetzt zu dieser Wahl zugelassen wurden. In unserer Stadt!", sagt Kamuran Kayhan.

Was der 34-jährige Nachwuchspolitiker und 15 weitere türkischstämmige Akademiker aus Köln fast unbemerkt am Rande der Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen angestoßen haben, ist nach 50 Jahren Einwanderung immer noch eine politische Novität. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik wurde eine ausschließlich von Türken initiierte Wählergemeinschaft für eine Wahl zugelassen.

Innerhalb weniger Monate hat es diese "Alternative Bürgerinitiative Köln" (ABI Köln) geschafft, genug Unterschriften zu sammeln, um sich für die Wahl der Bezirksvertretungen von sieben der neun Kölner Bezirke aufzustellen. Seitdem wird auch mal kurzerhand ein türkisches Restaurant an der bekannten Kölner Venloer Straße zur "Zentrale" ernannt. Denn hier, in Bezirken mit einem hohen Migrantenanteil wie Ehrenfeld, Nippes oder Mühlheim, ist ihr Wirkungsgebiet. Hier lebt ihre Zielgruppe.

"Wir glauben, dass wir hier eine Chance haben, weil wir die Probleme der Menschen kennen, ihre Sprache sprechen", sagt Kayhan. Wie die meisten Kandidaten von ABI stammt auch er aus einer typischen "Gastarbeiterfamilie": Anfang der siebziger Jahre verließen seine Eltern ihre kleine Heimatstadt Burdur in Zentral-Anatolien, der Vater fand Arbeit bei Ford in Köln – zu einer Zeit, in der noch einzig die Arbeitskraft für die Einwanderung nach Deutschland zählte. Als es noch keine Diskussion um Integration, Sprachkurse oder Einbürgerungstests gab. Als es noch keine Migranten gab, sondern nur Ausländer.

Und als an Wählerlisten mit türkischstämmigen Kandidaten noch gar nicht zu denken war. Der Gedanke, sich politisch zu engagieren, ist für viele der etwa 500 Mitglieder und Unterstützer der Kölner Nischenorganisation jedoch nicht neu. Doch bislang fehlte die passende politische Heimat, wie sie sagen und meinen: Das Gefühl, politisch etwas bewirken zu können, in ihrer Stadt. "Der Versuch war da, aber wir haben uns weder von den Massenparteien noch von den einzelnen Politikern verstanden und vertreten gefühlt", sagt ABI-Vorsitzender Kayhan, der jahrelang FDP-Mitglied war und sich eine Zeit lang auch im "Deutsch-Türkischen Forum" der CDU engagiert hat.

Samih Alphan, der für ABI für das Bezirksparlament in Mühlheim kandidiert, war bei der SPD; Engin Topal, Politikwissenschaftler wie Kayhan und Kandidat im Bezirk Nippes, war CDU-Mitglied. Für alle drei hat ein Schlüsselerlebnis das Vertrauen in die etablierten Parteien zerrüttet: "Als die CDU das erste Mal einen Türken als Bundestagskandidaten aufstellen wollte, hat die Basis einfach nicht mitgemacht, sagt Topal. Er spielt auf ein Ereignis an, das mehr als acht Jahre zurückliegt. Auf dem Landesparteitag sollte Bülent Arslan, ein in NRW sehr aktiver Christdemokrat und Vorsitzender des Deutsch-Türkischen Forums, als Bundestagskandidat aufgestellt werden. Doch es regte sich Widerstand: Als Moslem und Türke, so hieß es damals aus dem CDU-Kreisverband Hagen, könne Arslan die Partei nicht im Bundestag vertreten. Er zog seine Kandidatur zurück. Und Engin Topal seine CDU-Mitgliedschaft. Die Enttäuschung darüber sitzt noch immer tief, auch wenn Arslan später doch noch zu seiner Kandidatur gekommen ist.

Noch hat auch von den ABI-Machern keiner je ein wichtiges Parteiamt bekleidet. Sie wissen, dass sie noch viel lernen müssen. Ihr Programm liest sich wie ein Katalog schnell, unbedacht und unkonkret formulierter und nur auf Migranten bezogener Forderungen idealistischer Politik-Studenten. Da ist etwa die Forderung nach "besseren Freizeitmöglichkeiten und Beschäftigungskonzepten für Jugendliche in Brennpunkten und Einsatz von Jugendberatern mit Migrationshintergrund" oder die bereits bestehende Forderung der SPD nach einem kommunalen Wahlrecht für Ausländer, die seit drei Monaten in Deutschland leben; so auch Vorschläge, die längst umgesetzt worden sind, wie die Errichtung einer Antidiskriminierungsstelle in den Ämtern. Es ist sicher nicht das Programm, das die anderen Parteien fürchten werden. Auch nicht der handgemachte Wahlkampf, den die Kandidaten in "jeder freien Minute, nach Feierabend und am Wochenende" (Alphan) mit selbst gestalteten und gedruckten Broschüren zu Fuß in Ehrenfeld, Nippes und Mühlheim führen.

Es ist die bloße Existenz einer Wählergemeinschaft wie der ABI. Zwar gibt es bislang nur wenige Untersuchungen des Wahlverhaltens von Eingebürgerten. Aber grundlegend kann gesagt werden: Für Migranten macht es nicht nur einen Unterschied, welche Partei sich ihrer Belange annimmt, sondern auch welche Personen. Im Zweifel entscheiden sie sich für den Vertreter ihrer Community. Das ist der Joker von Wählergemeinschaften wie der ABI-Köln.

Die etablierten Parteien haben, so scheint es, diese potenzielle Wahlkraft von eingebürgerten Türken und anderen Migranten noch nicht erkannt. Nicht im Bund – nicht in Köln, einer Stadt mit mehr als 300.000 Migranten, darunter 70.000 eingebürgerten Türken. Es gab im Vorfeld der Kommunalwahlen viel Gezerre um die wenigen Kandidaten, die eine nicht-deutsche Herkunft haben. Während die Kölner FDP und die Grünen gar keine Kandidaten haben, konnte sich die CDU nicht zu einer Nominierung ihres Mitgliedes Efkan Kara auf einen sicheren Listenplatz durchringen. Die SPD dagegen schickt immerhin mit Gonca Mucuk-Edis und Malik Karaman zwei Kandidaten ins Rennen.

Für Kayhan von der ABI-Köln sind das "Quoten-Bekenntnisse". "Jede Partei versucht mit einem Migranten auf einem sicheren Listenplatz den Bereich abzudecken. Aber sogar das kostet sie meist viel Kraft und Auseinandersetzung", sagt er. Die größte Einwanderergruppe mit den meisten Eingebürgerten ist völlig unterrepräsentiert: Gerade mal zwei von 90 Mandaten im Stadtrat sind mit türkischstämmigen Politikern besetzt.

Viele wahlberechtigte Türken könnten bei den Kommunalwahlen am kommenden Sonntag für ABI-Köln stimmen – weil sie die Kandidaten als "ihre" Repräsentanten sehen, besonders in "ihren" Stadtteilen. Dennoch versuchen ABI-Vorsitzender Kayhan und seine Mitstreiter den politischen Schwerpunkt nicht ausschließlich auf Migrantenthemen zu legen – auch im Hinblick auf zukünftige Wahlen. Zu deutlich besteht die Gefahr, als "Türkenpartei" totgeboren zu werden und nach einem Versuch wieder in der politischen Versenkung zu verschwinden.

Bewusst lässt die Initiative religiöse Punkte oder patriotische Bezüge zum Herkunftsland außen vor. Auch nehmen sie für sich nicht in Anspruch, eine direkte Reaktion auf die anti-islamische Initiative "Pro Köln" zu sein. "Natürlich sind wir gegen diesen Extremismus wie gegen jeden anderen. Aber wir wollen nicht polarisieren. Was wir wollen, ist uns an der lokalen Politik beteiligen. Mitreden und mitbestimmen, und nicht nur die Stimme der Muslime sein oder gar "türkische" Politik machen", sagt der gebürtige Braunlagener Alphan, der als Islamkunde-Lehrer arbeitet. Schließlich wolle man auch von Spaniern, Griechen, Italienern und Deutschen gewählt werden.

Und wahrgenommen werden. "Als Kölner, von der ganzen Kölner Gesellschaft", sagt Kayhan. Nicht umsonst ziert ihr Logo (das Wappen von Köln auf rot-weißem Hintergrund) ein eindeutiger, fast trotziger Spruch: "Wir sind auch dabei".

ZEIT Online

Özlem Topcu

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