zum Hauptinhalt

Verfassungsschutz: Rechtsextremistische Gefahr in Deutschland ungebrochen

Verfassungsschützer: Die Neonazi-Szene hat weiter Zulauf, die NPD und vor allem die DVU verlieren Mitglieder. Ende 2008 wurden 30.000 Personen dem Rechtsextremismus zugerechnet.

Von Frank Jansen

Berlin - Die Bilanz ist zwiespältig. Das rechtsextreme Spektrum habe sich 2008 trotz der Mitgliederverluste bei NPD und DVU weiter verfestigt, berichten Verfassungsschützer dem Tagesspiegel. Die Szene der Neonazis sei gewachsen, zudem müsse befürchtet werden, dass die NPD bei der Sachsen-Wahl wieder in den Landtag einzieht und in Thüringen erstmals die Fünf-Prozent-Hürde überwindet. Weniger Chancen werden der DVU zugebilligt, bei der Wahl in Brandenburg ein drittes Mal ins Parlament zu kommen. Die Experten sehen zudem Anzeichen für Umbrüche im Rechtsextremismus, die zu einer Modernisierung führen könnten.

Zunächst zu den von Verfassungsschützern ermittelten Basisdaten: Ende 2008 wurden 30 000 Personen dem Rechtsextremismus zugerechnet, 1000 weniger als 2007. Die Verfassungsschützer sehen aber keine Abnahme der Gefahr. Denn es schrumpfe vor allem die überalterte und wenig aktive DVU. Sie verlor 1000 Mitglieder und zählt nur noch 6000. Stärkste organisatorische Kraft blieb die NPD mit 7000 Mitgliedern, im Jahr zuvor waren es allerdings 7200.

Besondere Sorge bereitet den Verfassungsschützern die Zunahme der Neonazis. Ende 2008 wurden 4800 gezählt, 400 mehr als im Vorjahr. Zulauf erhielten die Neonazis aus der NPD und von den „subkulturell geprägten und sonstigen gewaltbereiten Rechtsextremisten“, wie die Experten die wenig politisierten Skinheads (die kaum noch im klassischen Outfit auftreten) und anderen Rauf- und Sauftrupps nennen. Die Zahl der „Subkulturellen“ sank auf 9500 (10 000). Aus diesem Milieu kommen viele der Gewalttäter, die oft alkoholisiert und spontan Migranten, Linke und andere Menschen attackieren, die ins Feindbild passen. Bis Ende 2008 sei die Zahl der rechten Gewalttaten (wie auch der linken) auf über 1000 gestiegen, lautet die Prognose von Experten.

Die Neonazis würden attraktiver, weil sie kämpferischer agieren als die NPD, sagen Verfassungsschützer. Und es gelinge, einen Teil der meist jüngeren Subkulturellen zu indoktrinieren. Anklang finde bei vielen rechts orientierten Jugendlichen auch das Gehabe der besonders aggressiven Neonazi-Gruppierung Autonome Nationalisten. Sie hatten am 1. Mai 2008 in Hamburg randaliert und Polizisten, Reporter und linke Autonome angegriffen.

Die Autonomen Nationalisten imitieren die Linken und formieren sich bei Demonstrationen zum schwarzen Block. Außerdem wird vor Aufmärschen trainiert, zum Beispiel wie Polizeiketten zu durchbrechen sind. Unter den 4800 Neonazis gebe es 400 Autonome Nationalisten mit Schwerpunkten in Nordrhein-Westfalen und Berlin, sagen Verfassungsschützer. Die Zahl sei 2008 nicht gestiegen, doch könnten die Autonomen Nationalisten zunehmend krawallsüchtige Sympathisanten für Demonstrationen mobilisieren.

Mit der NPD, die bieder erscheinen möchte, liegen die Autonomen Nationalisten im Streit. Aber auch bei anderen Neonazis wachse die Skepsis gegenüber der Partei, sagen Experten. Der Vorwurf der „Verbonzung“ werde vor allem mit der Affäre um den Ex-Bundesschatzmeister Erwin Kemna begründet, der über 700 000 Euro Parteigelder veruntreut hat. Angesichts des Desasters plant die NPD für das Frühjahr einen Sonderparteitag. Verfassungsschützer halten es für möglich, dass Parteichef Udo Voigt vom jüngeren Andreas Molau abgelöst wird. Der frühere Waldorf-Lehrer ist 39 Jahre alt, Voigt ist 56. Unterstützt werde Molau von seinem Landesverband Niedersachsen, sagen Experten, sowie aus Mecklenburg-Vorpommern (hier sitzt die NPD auch im Parlament), aus Sachsen und vom bayerischen Verband, dem mitgliederstärksten der NPD. Sollte Molau gewählt werden, bekomme die Partei allerdings noch mehr Probleme mit den Neonazis. Molau wolle die NPD intellektuell aufrüsten und distanziere sich – verbal – von Gewalt.

Bei der DVU ist der Generationenwechsel offenbar schon angelaufen. Am vergangenen Wochenende gab Parteipatriarch Gerhard Frey (75) den Chefposten an Matthias Faust (37) ab. Auch wenn unklar bleibt, ob Frey ihn ungestört agieren lässt, deuten Verfassungsschützer an, Faust wolle den Niedergang der DVU mit einer Doppelstrategie stoppen: Treue zum „Deutschland-Pakt“ mit der NPD, aber im Westen eine Öffnung für das bürgerlich-rechtspopulistische Wählerpotenzial, dem die NPD wohl zu fanatisch sei. Die DVU schiele auf den relativen Erfolg der Islamgegner von „Pro Köln“. Im Osten, wo die NPD stärker verankert ist als in den alten Ländern, hat die DVU ihr nun den Antritt bei der Thüringer Wahl überlassen. Damit wurde die Absprache aus dem „Deutschland-Pakt“ geändert, wonach die DVU Kandidaten stellen sollte.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false