zum Hauptinhalt
Soldat in Afghanistan

© ddp

Auslandseinsätze: Wunden an der Seele

Erst explodieren die Bomben, dann kommen die Alpträume: Soldaten erleben in Auslandseinsätzen oft schreckliche Situationen. Die Zahl derer, die seelisch darunter leiden, steigt. Am Donnerstag beschloss der Bundestag eine bessere Unterstützung der Heimkehrer.

Nord-Afghanistan, nahe der Stadt Kundus: Deutsche Soldaten sind gemeinsam mit afghanischen Polizisten auf der Suche nach Waffenlagern. Sie sprechen gerade mit einigen Dorfbewohnern, als sich ein Mann auf einem Fahrrad nähert. Sekunden später sprengt sich der Attentäter in die Luft. Seine Bombe tötet zwei deutsche Soldaten und fünf afghanische Kinder. Bei dem Anschlag im Oktober 2008 werden zwei weitere Soldaten verletzt, sie überleben.

Doch auch ihr Leben verändert sich für immer. Denn traumatische Erlebnisse hinterlassen neben körperlichen auch seelische Verletzungen. Wieder zurück in Deutschland können manche Soldaten die schrecklichen Ereignisse nicht verarbeiten. Sie haben mit Schlafstörungen und Albträumen zu kämpfen, die Erinnerungen lassen sie nicht mehr los. Sie reagieren nervös oder aggressiv. Mediziner bezeichnen das als Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Die Symptome sind vielfältig, und immer mehr Soldaten sind nach Auslandseinsätzen davon betroffen. Vor allem bei Rückkehrern aus Afghanistan steigen die Zahlen. Gab es 2006 noch 55 Fälle, waren es im vergangenen Jahr 226. Insgesamt haben sich über 600 Soldaten, die am Hindukusch im Einsatz waren, aufgrund von PTBS behandeln lassen.

Erinnerungen kommen wieder, auch Jahre später

Inzwischen hat das Thema auch die Öffentlichkeit erreicht. Die ARD zeigte vergangene Woche den Spielfilm "Willkommen zuhause", der auf eindrückliche Weise die Probleme von Soldaten nach der Rückkehr darstellt. Auch Politiker sind sich der gestiegenen Belastung der Truppen bewusst. m Donnerstag wurde im Bundestag ein Antrag der CDU/CSU und SPD-Fraktionen debattiert, der von den Grünen und der FDP unterstützt wurde. Auch die Linke, die Auslandseinsätze der Bundeswehr ablehnt,  befürwortete die Maßnahmen. Einstimmig beschlossen die Abgeordneten, Soldaten künftig besser bei der Verarbeitung ihrer Erlebnisse zu unterstützen.

Bundesregierung soll Kompetenzzentrum einrichten

Sie fordern die Bundesregierung auf, ein Kompetenz- und Forschungszentrum einzurichten. Eine zentrale Ansprechstelle und anonyme telefonische Beratungsangebote sollen Soldaten und ihren Angehörigen helfen, sich wieder ins normale Leben einzugliedern.

Außerdem soll die Unterstützung für bereits aus der Bundeswehr ausgeschiedene ehemalige Soldaten verbessert werden. Denn es kann Monate oder Jahre dauern, bis sich nicht verarbeitete Emotionen einen Weg an die Oberfläche bahnen und Symptome auftreten: Dem heimgekehrten Soldaten geht es äußerlich gut, doch wenn er beim Grillen verbranntes Fleisch riecht oder einen lauten Knall, ähnlich einem Schuss, hört, werden Erinnerungen an das schreckliche Erlebte ausgelöst.

Dass es in solch länger zurückliegenden Fällen nicht einfach ist, Hilfe zu bekommen, weiß auch Frank Eggen. Er erstellte Ende 2008 die Webseite Angriff auf die Seele. Sie bietet Informationen und Beratungsangebote rund um Posttraumatische Belastungsstörung bei Soldaten. Es fällt Betroffenen oft nicht leicht, zuzugeben, dass sie Hilfe brauchen. "Viele Soldaten sind der Ansicht, dass Traumatisierungen oder psychische Erkrankungen eine charakterliche Schwäche sind", sagt Eggen. Sie haben Schwierigkeiten, sich auf ihre eigene Schwäche einzulassen. Viele ziehen sich zurück, wollen oder können keine Hilfe annehmen.

Dabei gibt es bereits vielfältige Angebote der Bundeswehr. Pfarrer, Sozialarbeiter, Psychologen und Ärzte an den Bundeswehrstandorten haben sich zu Netzwerken zusammengeschlossen, um Anzeichen für Erkrankungen früh zu erkennen. Truppenpsychologen und -ärzte betreuen die Soldaten vor, während und nach dem Einsatz. Familienbetreuungszentren leisten den Angehörigen Hilfestellung. Die Krankenhäuser der Bundeswehr behandeln auch die seelischen Leiden der Soldaten.

Die Heilungschancen sind bei Behandlung gut

"Eigentlich ist PTBS eine gut behandelbare Krankheit", sagt Peter Zimmermann. Er leitet die Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie im Bundeswehrkrankenhaus Berlin. "Bei 80 bis 90 Prozent der Fälle treten zumindest deutliche Besserungen ein", schätzt er. Wie gut ein Mensch derartige schwerwiegende Ereignisse verarbeiten kann, hängt davon ab, "welches Päckchen der Patient sonst noch mit sich rumträgt." Gesunde Menschen, die in Familie und Freundeskreis eingebunden sind, verarbeiteten traumatische Erlebnisse besser als Betroffene, die schon vorher mit Gewalt konfrontiert waren. In solchen Fällen "kommt bei der Verarbeitung der ganze Rest auch mit hoch und dann dauert es natürlich viel länger." Bis zu acht Wochen verbringen Patienten in schweren Fällen im Krankenhaus, bei leichteren Erkrankungen reichen drei bis vier Wochen.

Soldaten Afghanistan
Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan. Leben in ständiger Anspannung. -

© ddp

Es muss nicht unbedingt ein Anschlag sein, der zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung führt. "Es fällt vielen schwer, aus dem Lager raus zu fahren, das Leid der Menschen, gerade auch der Kinder, zu sehen, die Bedrohung, die Gefahr, die Armut", erläutert Peter Zimmermann. Frank Eggen pflichtet ihm bei: "Im Einsatz herrscht ständig diese Bedrohung, immer Angst. Die Soldaten sind ständig in Alarmbereitschaft. Wenn sie dann wieder nach Hause kommen, werden sie dieses Gefühl nicht wieder los."

Es fällt schwer, über das Erlebte zu sprechen

Gleichzeitig tun sich Betroffene schwer, ihre emotionalen Leiden Familie und Freunden zu erklären. Im Chat auf Eggers Webseite schreibt ein Soldat: "Das Problem vieler, die unterwegs waren, ist, dass sie das Gefühl haben, das Erlebte nicht mit denen teilen zu können, die nicht dabei waren. Im Einsatz ist alles irgendwie klar, es braucht nicht viele Worte. Zuhause ist alles anders. Kaum jemand versteht, was war, und es zu erklären, ist fast unmöglich." Das macht es auch für die Angehörigen schwierig. Im Chat beklagen Frauen und Freundinnen von Soldaten, dass sie sich von der Bundeswehr allein gelassen fühlen. "Gibt es denn keine Möglichkeit, als Angehöriger mit auf so eine Problematik vorbereitet zu werden?", fragt "Nomad". "Dann käme man sich vielleicht nicht so hilflos vor." Auch die Familienbetreuungszentren werden kritisiert: "Sie tun viel zu wenig", schreibt "Chris".

Es müsse nach der Heimkehr eine fortlaufende Betreuung geben, die auch die Angehörigen mit einbezieht, so der Tenor der Diskussion. Wiederholte und längerfristige Gespräche sind wichtig, eben weil die Erkrankung erst Monate später auftreten kann.

Der Wille und die Offenheit dazu sind vorhanden, sagt Frank Eggen: "Die Bundeswehr ist kontinuierlich dabei, die Angebote und Informationen zu verbessern, das glaube ich schon." Viele Ängste der Betroffenen, zum Beispiel um negative Auswirkungen auf ihre militärische Laufbahn, seien unbegründet. Ärzte und Seelsorger unterliegen der Schweigepflicht.

Dem politischen Willen sollen Taten folgen

Die zunehmende Sensibilisierung für die Erkrankung führt auch zu steigenden Fallzahlen. Peter Zimmermann bekommt oft Anfragen von Vorgesetzten oder Kameraden der Betroffenen. Gleichzeitig kommt es durch die verstärkte Bedrohungslage zum Beispiel in Afghanistan häufiger zu erschütternden Erlebnissen. "Mit anwachsender Gefahr nehmen auch die Traumatisierungen zu", sagt Eggen.

Er hofft nun, dass sich der politische Wille auch in Taten niederschlägt. Das geforderte Forschungszentrum müsse "auch wirklich die Kompetenz bekommen, Sachen in Gang zu bringen, zu forschen und zu diagnostizieren." Nur so könne den Betroffenen wirklich geholfen werden.

Jessica Binsch

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false