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Deutsches Waffenhilfe für Kurden: Kann so der Vormarsch des "Islamischen Staats" gestoppt werden?

© dpa

Deutschlands Rolle: „Wir können uns nicht raushalten“

Politikwissenschaftler Johannes Varwick über Herausforderungen für die deutsche Außenpolitik, den Nutzen von Rüstungsexporten – und schmutzige Kompromisse.

Von Hans Monath

Herr Professor Varwick, würde eine Verdoppelung der deutschen Entwicklungshilfe oder ein Stopp aller deutschen Rüstungsexporte die Zahl der Flüchtlinge drastisch reduzieren?
Ganz sicher nicht. Wir müssen zwei Fehler vermeiden: Wir müssen uns verabschieden von der Allmachtsfantasie, dass wir die ganze Welt retten können. Aber wir müssen uns genauso verabschieden von der Hoffnung, dass wir uns aus weltpolitischen Konflikten heraushalten können. Wir müssen diese Extreme vermeiden und uns stattdessen mit einer komplexen Realität auseinandersetzen, für die es keine einfachen Antworten gibt.

Gibt es außen- und entwicklungspolitische Möglichkeiten, Krisenstaaten zu stabilisieren?
Die gibt es, aber man darf sie in ihrer Wirkung nicht überschätzen. Alle weitreichende Hoffnungen und alle technokratischen Ansätze, durch Entwicklungshilfe Länder zu stabilisieren und voranzubringen, sind in der Realität gescheitert. Genauso ist der Ansatz gescheitert, Stabilität und Demokratie mit Blut und Schwert auf der Welt zu verbreiten. Wir brauchen keine ideologischen Grundsatzdebatten. Wir müssen in jedem Einzelfall schauen, mit welchen Instrumenten wir Fortschritte erreichen können.

Das heißt?
Die deutsche Außenpolitik sollte ruhig unkonventionelle Wege gehen, die sie bislang abgelehnt hat. So können Rüstungsexporte durchaus ein Instrument der Stabilisierung sein.

An welches Beispiel denken Sie?
An die Waffenlieferungen und die Ausbildungshilfe für die kurdischen Peschmerga durch die Bundeswehr im Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS). Das ist richtig, geht aber nicht weit genug. Der IS begeht nicht nur schreckliche Verbrechen und verwüstet den Nahen Osten, er ist auch eine der Ursachen für die Flüchtlingsbewegungen aus dieser Region. Die deutsche Politik wäre gut beraten, wenn sie sich intensiver und mit mehr Mitteln auch an der militärischen Lösung dieses Problems beteiligen würde. Das machen 40 Staaten unter Führung der USA, aber Deutschland hält sich raus. Auch die Bundeswehr sollte Luftangriffe auf IS-Stellungen fliegen.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier argumentiert, Deutschland sei darum nicht gebeten worden.
Deutschland als zentrale Macht der Europäischen Union sollte sich im vollen Spektrum am Kampf gegen den IS beteiligen. Das Argument, wonach das schon andere für uns erledigen werden, zieht schon lange nicht mehr

Steinmeier setzt auf eine politische Lösung und hofft, das Atomabkommen mit dem Iran werde eine neue Dynamik der Diplomatie auslösen. Zu Recht?
Diese Hoffnung ist nicht völlig unberechtigt. Wir müssen uns angewöhnen, in der internationalen Politik stärker in schmutzigen Kompromissen zu denken. Das Atomabkommen mit dem Iran ist ein Stück weit ein schmutziger Kompromiss. Wenn er dazu führt, dass der Iran in der Region zur Lösung von Konflikten beiträgt, dann ist es auch ein vernünftiger Kompromiss. Das Iran-Abkommen zeigt: Es gibt Handlungsmöglichkeiten, die eine kluge Außenpolitik nutzen kann. Deutschland hat sich in den Atomverhandlungen engagiert und Verantwortung übernommen. Das führt nicht dazu, dass morgen weniger Flüchtlinge kommen. Wenn es gut läuft, führt es aber dazu, dass die Perspektiven für die Krisenregion Nahost übermorgen besser sind als heute.

Im UN-Sicherheitsrat hat Russland mit Rücksicht auf Baschar al Assad Resolutionen verhindert. Kann es in Syrien eine Lösung ohne die UN Geben?
Nein. Es wird keine Lösung durch ein Ausbluten des Konfliktes geben und auch nicht dadurch, dass die meisten Syrer aus dem eigenen Land fliehen. Jede politische Lösung muss auch militärisch abgesichert werden, nämlich durch eine UN-Friedenstruppe. Das geht nur mit Konsens im UN-Sicherheitsrat, also auch mit Zustimmung Russlands und Chinas. Das heißt, deren Interessen müssen auch berücksichtigt werden. An einer solchen UN-Friedenstruppe, die früher oder später nötig wird, wird sich dann Deutschland auch beteiligen müssen.

 Johannes Varwick (47), Professor für Internationale Beziehungen und europäische Politik an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg.
Johannes Varwick (47), Professor für Internationale Beziehungen und europäische Politik an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg.

© Imago

Was halten Sie von der These, erst Militärinterventionen des Westens hätten Fluchtländer destabilisiert, Stichwort Afghanistan, Irak und Libyen?
Ich frage zurück: Wäre die Welt denn in Ordnung, wenn der Westen in Afghanistan, im Irak und in Libyen nichts gemacht hätte? Afghanistan wäre dann ein Exportzentrum für Terroristen geworden, Saddam Hussein würde heute womöglich über Massenvernichtungswaffen verfügen, und wir hätten in Bengasi untätig einem Massenmord zugesehen. Hätte der Westen auf Interventionen verzichtet, hätte das seinen Preis gehabt. Wir müssen aus den Fehlern lernen und es künftig besser machen, aber einfach laufen lassen können wir die Dinge nicht.

Vier EU-Staaten nehmen den Großteil aller Flüchtlinge auf. Ist das gerecht?
Natürlich müssen wir an die Solidarität in Europa appellieren. Aber wir sollten über Polen, Ungarn und die Slowakei nicht den Stab brechen, sondern versuchen, die politische Kultur in diesen Ländern zu verstehen. Ich bin froh, dass wir Deutschen so weltoffen sind. Aber die Gesellschaft in den genannten Ländern ist einfach noch nicht so weit, eine größere Zahl von Flüchtlingen aufzunehmen.

Manche wollen die unwilligen EU-Länder bei der Verteilung von EU-Mitteln bestrafen. Eine gute Idee?
Nein. Es würde überhaupt nicht helfen, wenn wir etwa Polen nötigen wollten, Zehntausende von muslimischen Flüchtlingen aufzunehmen, während die politische Kultur dort dazu noch nicht bereit ist. Ich rate da zu Nüchternheit: Ein paar EU-Staaten können mehr tun. Aber am Ende wird Deutschland die Mehrzahl der Flüchtlinge aufnehmen müssen.

Das Gespräch führte Hans Monath.

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