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Seit Mai 2014 ist Reiner Hoffmann (61) Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds.

© Doris Spiekermann-Klaas

DGB-Chef Hoffmann: "Auch Gewerkschaften müssen sich ändern"

DGB-Chef Reiner Hoffmann spricht über die Zukunft der Interessenvertretungen, den Wandel in der Arbeitswelt – und die Rentenpolitik der Koalition. Ein Interview.

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Herr Hoffmann, wie viel Fluch und wie viel Segen steckt in der Digitalisierung?

Es gibt Chancen und Risiken. Entscheidend wird sein, dass wir nicht nur danach schauen, was technisch machbar ist – sondern dass wir den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Klar ist: In einer Arbeitswelt, die sich so stark verändert, brauchen wir mehr Mitsprache der Arbeitnehmer.

Die Bundeskanzlerin vergleicht die Digitalisierung mit der der industriellen Revolution oder der Erfindung des Buchdrucks. Erleben wir gerade einen historischen Umbruch der Arbeitswelt?

Wir erleben einen tiefgreifenden Umbruch und eine extreme Beschleunigung. Die Halbwertszeit von technologischen Innovationen wird immer kürzer, damit werden Qualifikationen schneller entwertet. Deshalb müssen wir Ernst machen mit lebensbegleitendem Lernen. Viele Unternehmen sehen Bildung leider immer noch als Kostenfaktor und nicht als Investition.

Erleichtern Roboter den Menschen die Arbeit oder werden sie uns die Arbeitsplätze wegnehmen?

Die Diskussion, ob uns die Arbeit ausgeht, haben wir schon in den 70er Jahren geführt. Strukturwandel ist nichts Neues in der Entwicklung kapitalistischer Gesellschaften, die innovationsgetrieben sind. Wir müssen ihn aber gestalten.

Macht Ihnen die Prognose, dass ganze Berufszweige wegfallen werden, denn gar keine Angst?

Innovationen bedeuten immer auch neue Produkte und neue Märkte. Nehmen Sie Adidas: Das Unternehmen kommt nach Deutschland zurück, um hier Hightech-Schuhproduktion zu betreiben. In der Produktion werden nur relativ wenig Arbeitnehmer tätig sein. Aber wer baut die Fabrik und die Anlagen? Und wer wartet die Maschinen? Das sind alles neue, aber eben oft hoch qualitative Tätigkeiten – darauf müssen wir vorbereitet sein.

Aber viele Menschen empfinden die Digitalisierung als Bedrohung …

Es gibt eine gewisse Skepsis. Wir müssen die Neugier der Menschen auf Veränderungen wecken. Die Akzeptanz dafür gibt es aber nur, wenn die soziale Sicherung funktioniert und man den sozialen Zusammenhalt garantieren kann. Nur wenn die Menschen sich sicher fühlen, sind sie bereit für Neues.

Sind denn auch die Gewerkschaften bereit zur Veränderung oder verteidigen sie nicht eher den Status quo?

Auch wir müssen uns ändern. Die Frage ist, wie wir in Zukunft gewerkschaftliche Interessenvertretung wahrnehmen können.

Und?

Wir brauchen neue Spielregeln. Ein Beispiel: Der Taxi-Anbieter Uber behauptet, dass er eine Internet-Plattform und kein Arbeitgeber sei. Dabei handelt es sich klar um ein Abhängigkeitsverhältnis: Der Fahrer kann den Preis für eine Fahrt nicht selbst bestimmen, von seinem Verdienst muss er bis zu 25 Prozent an Uber abgeben. Doch Uber entzieht sich jeder sozialen Verantwortung: keine Sozialbeiträge, keine Arbeitszeitregelungen, kein Arbeits- und Gesundheitsschutz. Das geht nicht.

Was wollen Sie dagegen tun?

Wir müssen gesetzlich neu definieren, wer Arbeitnehmer und Arbeitgeber ist. Wenn wir hier keine Leitplanken einziehen, rutschen wir immer weiter ab in prekäre Beschäftigung. Wir müssen debattieren, was uns Arbeit wert ist. Geht es nur noch zum Billigtarif? Oder haben wir nicht in einer sozialen Marktwirtschaft den Anspruch, dass jeder ordentlich von seiner Arbeit leben kann?

Arbeitsministerin Andrea Nahles will durch eine Experimentierklausel flexibleres Arbeiten ermöglichen. Mitarbeiter, die pünktlich zum Abendessen mit den Kindern zu Hause sein wollen, sollen abends von zu Hause weiterarbeiten können. Einverstanden?

Ich habe nichts gegen Experimente. Wichtig ist, dass dabei die Interessen der Beschäftigten im Mittelpunkt stehen und dass es klare Vereinbarungen gibt.

Sehen Sie die Gefahr, dass solche Regelungen zu Mehrarbeit führen?

Das darf nicht passieren. Dafür lassen sich aber intelligente Lösungen finden, etwa mit einer Arbeitszeit-App auf dem Handy. Dann kann ein Arbeitnehmer selbst entscheiden, ob er an einem Tag länger bleibt und an einem anderen Tag schon mittags geht. Wichtig ist, dass so etwas in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen geregelt ist.

Sollten Arbeitnehmer auch das Recht haben, zu Hause zu arbeiten?

Ja. Ein Recht auf Home Office verschafft Arbeitnehmern mehr Souveränität über die eigene Arbeitszeit. Wichtig ist aber, dass es dann auch einen Anspruch auf die Rückkehr an einen betrieblichen Arbeitsplatz gibt.

Viele Menschen verunsichert es, sich in einer immer komplexeren Welt zurechtfinden zu müssen. Tragen Digitalisierung und Globalisierung dazu bei, dass sich jetzt auch in Deutschland der Rechtspopulismus ausbreitet?

Wenn wir nach Europa schauen, erleben wir im Moment in Deutschland eine nachholende Entwicklung. Bei uns allen sollte die rote Warnlampe angehen. Wenn wir nicht gegensteuern, könnten die Rechtspopulisten deutlich mehr Zulauf erhalten.

Wie erklären Sie sich den Erfolg zur AfD?

Die Parteien und Institutionen haben an Glaubwürdigkeit verloren. Die Gewerkschaften will ich da gar nicht ausnehmen. In Frankreich lässt sich das beobachten: In den Regionen, in denen der Strukturwandel nicht gelungen ist, wählen viele Arbeiter inzwischen nicht mehr links, sondern rechts. Bei ihnen verfängt das falsche Versprechen der Rechtspopulisten, durch die Rückkehr zur nationalen Kleinstaaterei soziale Probleme zu lösen.

Was setzen Sie dem entgegen?

Wir brauchen eine Agenda für soziale Gerechtigkeit. Es kann nicht sein, dass ein Arbeitnehmer nach harter Arbeit am Ende des Monats bis zu 42 Prozent Einkommensteuer von seinem Lohn abgezogen bekommt, während die Kapitalertragsteuer, die erst am Ende des Jahres fällig wird, nur bei 25 Prozent liegt.

Die Abgeltungssteuer sollte also abgeschafft werden?

Die Kapitalertragsteuer muss wieder in den Einkommensteuertarif eingefügt werden. Und hohe Vermögen müssen sich über eine Vermögensteuer ordentlich an der Finanzierung des staatlichen Gemeinwohls beteiligen.

Aber Sie haben doch gerade festgestellt, dass das Aufkommen der Rechtspopulisten auch ein Problem der linken Parteien sei, die ihre Wähler nicht mehr an sich binden können. Wieso sollten deren alte Umverteilungsrezepte helfen?

Das ist zu kurz gesprungen. Die Menschen spüren, dass es in diesem Land nicht mehr gerecht zugeht. Die Rechtspopulisten greifen den Unmut in der Bevölkerung auf, wenn auch mit dumpfen Parolen. Wir müssen überzeugende Antworten liefern: Dazu gehört mehr soziale Gerechtigkeit, aber auch ein handlungsfähiger Staat, der investieren kann.

Was heißt das konkret?

Wir brauchen ein massives Investitionsprogramm in Europa. Finanzminister Wolfgang Schäuble sollte endlich seinen Widerstand dagegen aufgeben, den EU-Investitionsplan von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker finanziell ordentlich auszustatten. Die Menschen erleben derzeit, dass man für Banken Milliarden-Rettungsschirme aufgespannt hat, für die arbeitslose Jugend im Süden Europas aber nur Almosen verteilt. Wir brauchen endlich eine andere Europapolitik.

Erhoffen Sie sich dafür auch Unterstützung von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, der angekündigt hat, aus Brüssel in die Bundespolitik wechseln zu wollen?

Es tut der deutschen Politik auf jeden Fall gut, wenn sie mehr Politiker hat, die substanzielle Europaerfahrung haben.

Wäre Schulz auch ein guter SPD-Kanzlerkandidat?

In Personalfragen mische ich mich nicht ein. Ich fände es gut, wenn die SPD bald Klarheit schafft. In diesen unübersichtlichen Zeiten erwarten die Menschen deutliche Signale, personell und vor allem inhaltlich klare Positionen.

Ein Jahr vor der Bundestagswahl hat der Deutsche Gewerkschaftsbund eine Rentenkampagne gestartet. Wenn das Rentenniveau nicht langfristig wieder angehoben werde, drohe Millionen Menschen Altersarmut, heißt es. Die Kanzlerin kritisiert, Sie würden Ängste schüren und damit der AfD in die Hände spielen. Ist da nicht etwas dran?

Wir schüren keine Angst, wir wollen Sicherheit. Wenn das Rentenniveau weiter so sinkt, wie es gesetzlich festgeschrieben ist, führt das zu einem Vertrauensverlust in die sozialen Sicherungssysteme. Darauf hat ja auch die Bundesarbeitsministerin mit ihrem Konzept zur Alterssicherung reagiert. Nichtstun treibt die Leute in Richtung Rechtspopulismus.

Wenn das Rentenniveau auf dem heutigen Niveau bleiben soll, kostet das geschätzt 40 Milliarden Euro. Wer soll das bezahlen?

Wenn wir mit dem Unfug aufhören würden, Frauen deutlich schlechter zu bezahlen als Männer, würden auch die Beitragseinnahmen steigen. Und wenn wir endlich den Niedriglohnsektor in Deutschland trockenlegen würden, wäre das auch ein Beitrag zur Stabilisierung des Rentenniveaus.

Der Mindestlohn sollte also auf 12 Euro steigen, wie die Linkspartei fordert?

Nein, es ist viel wichtiger, dass wir die Tarifbindung erhöhen. Tarifverträge sind besser als der Mindestlohn. Den Mindestlohn brauchen wir als unterste Haltelinie, weil sich so viele Arbeitgeber aus der Tarifbindung verabschiedet haben. Doch wenn mehr Arbeitgeber Tariflöhne zahlen würden, hätten auch mehr Menschen im Alter eine gute Rente.

Arbeitsministerin Nahles fordert eine doppelte Haltelinie: Nach ihren Vorstellungen sollen die Beiträge bis 2045 nicht über 25 Prozent steigen und das Niveau nicht unter 46 Prozent sinken. Was halten Sie davon?

Grundsätzlich ist es richtig, dass wir eine doppelte Haltelinie festschreiben. Die sollte jedoch nicht bei 46 Prozent liegen, sondern bei dem heutigen Rentenniveau von rund 48 Prozent. Langfristig streben wir ein gesetzliches Rentenniveau von 50 Prozent an, also oberhalb der von Frau Nahles avisierten Ziellinie.

SPD und Union haben sich auf eine Angleichung der Ost-West-Renten verständigt. Ist das das richtige Signal?

Ja, das begrüßen wir. Die Angleichung der Rentenwerte in Ost und West ist nach 26 Jahren Deutsche Einheit überfällig.

Sind Sie auch mit den sonstigen Verabredungen zufrieden?

Richtig sind die Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente, auch wenn wir uns da mehr hätten vorstellen können, wie die Abschaffung der Abschläge. Und richtig ist auch, dass bei der betrieblichen Altersvorsorge nun zügig die parlamentarischen Beratungen beginnen. Bei den Konzepten für die Geringverdiener erwarten wir allerdings rasche Lösungen. Das ist dringend notwendig, um die dort drohende Altersarmut zu verhindern. Das Berechnen der Modelle sollte sich nicht in die Länge ziehen.

Früher sind die Gewerkschaften gegen die Rente mit 67 zu Felde gezogen. In Ihrer Kampagne kommt die Anhebung des Renteneintrittsalters nicht mehr vor. Haben Sie Ihren Frieden damit geschlossen?

Wir sind immer noch gegen die Rente mit 67. Ich sehe nur keine politische Konstellation, die dieses Rad zurückdrehen würde. Wir müssen über gute Arbeit dazu beitragen, dass die Leute überhaupt bis zum gesetzlichen Rentenalter arbeiten können. Und wir brauchen flexible Übergänge in die Rente.

Manche reden sogar schon von der Rente mit 70...

Da sagen wir ganz klar: Mit uns nicht zu machen.

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