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Michael Sommer ist seit 2002 Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).

© Paul Zinken

DGB-Chef Michael Sommer: Rentenpolitik: "Das ist eine Verhöhnung der Menschen"

Der Chef des deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer, spricht im Tagesspiegel-Interview über die Rentenpolitik, den Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück und darüber, was er noch von der schwarz-gelben Koalition erwartet.

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Herr Sommer, ein Jahr vor der Bundestagswahl sendet die SPD den Gewerkschaften beim Thema Rente Friedensangebote. Nehmen Sie die an - und helfen Sie den Genossen im Wahlkampf?

Dass sich die SPD in der Rentenpolitik deutlich bewegt hat, nehmen wir zur Kenntnis. Einen vergleichbaren Annäherungsprozess gab es ja bereits beim Thema Arbeit. Man kann die Agenda 2010 und den damit verbundenen Seelenverlust der SPD nicht ungeschehen machen, aber sie versucht nach vorne zu gucken. Dass sich jetzt politisch etwas bewegt, ist in Ordnung.

Aus der Opposition heraus ist die Wiederannäherung an die Gewerkschaften aber auch nicht so schwer...

Sie haben recht. Viele von uns haben noch die Äußerung des damaligen SPD- Vorsitzenden Franz Müntefering im Kopf, nach der Bundestagswahl sei es unfair, die SPD an ihren Wahlversprechen zu messen...

Sie erwarten, dass die SPD diesmal Wort hält – und ein Kanzler Peer Steinbrück die Rente mit 67 sofort aussetzt?

Ich gehe davon aus, dass die noch zu fassenden Beschlüsse des Parteikonvents zur Rente ins SPD-Wahlprogramm einfließen und die Maßgabe sind für alles, was danach passiert. Daran werden wir sie messen, gerade auch nach der Wahl.

Im Streit ums künftige Rentenniveau hat sich die SPD ja bislang nicht wirklich festgelegt, und von einer Komplettabschaffung der Rente mit 67 ist auch nicht die Rede. Sind Sie damit denn zufrieden?

Wir wollen beides: den Verzicht auf die Rente mit 67 und keine Absenkung des Rentenniveaus. Wenn man jetzt auf Beitragssenkungen verzichten und stattdessen über die Jahre moderate Anhebungen machen würde, ließe sich eine stattliche Demografiereserve aufbauen, die beides überflüssig macht. Ein System, das Menschen in ganz normalen Berufen nicht mehr garantiert, nach einem langen Arbeitsleben ihren Lebensstandard halten zu können, pervertiert sich selbst. Mit den Hartz-Gesetzen gab es ja schon den Paradigmenwechsel weg von der Lebensstandardsicherung hin zur puren Armutssicherung. Wenn das nun auch noch auf die Rente übertragen wird, wird Armut zum Massenphänomen.

Die Beitragssenkung um 0,7 Punkte zum Jahr 2013 ist bereits beschlossen...

Das war ein Fehler. Und politische Fehler kann man auch korrigieren.

Die Regierenden wollten dem Problem mit der Förderung von mehr Privatvorsorge begegnen. Ist die Riesterrente gescheitert?

Sie hat dort, wo sie in Betriebsrentensysteme mündete, durchaus ihre Erfolge gehabt. Gescheitert ist sie, wo sie zum Spekulationsobjekt des kleinen Versicherungsagenten wurde. Und sie hat den Weg geöffnet zur Absenkung des gesetzlichen Rentenniveaus. Man muss sich im Nachhinein aber schon die Frage stellen, was man mit den vielen Fördermilliarden in der gesetzlichen Rentenversicherung alles hätte finanzieren können.

Vor allem, weil die Förderung bei Geringverdienern kaum ankommt.

Ja klar, woher sollen die solche Vorsorge auch bezahlen, wenn es auf jeden Euro ankommt? Ich bleibe dabei: Die gesetzliche Rente ist der privat finanzierten Rente weit überlegen. Und ich bin zufrieden damit, dass es uns gelungen ist, Alterssicherung und Altersarmut zum politischen Thema zu machen. Jetzt kommt es darauf an, endlich vernünftige Lösungen durchzusetzen.

Die Koalition will der Altersarmut mit einer sogenannten Lebensleistungsrente begegnen. Was halten Sie davon?

Wenn man arbeitenden Menschen sagt, wir wollen deine Lebensleistung in der Rente honorieren, und dann kommt Grundsicherung plus zehn Euro raus, dann ist das eine Verhöhnung der Menschen. Außerdem weiß inzwischen jedes Kind, dass das in der Koalition nicht mehr verabschiedet wird.

Ist das Modell der SPD so viel besser?

Die Idee, per Steuerzuschuss zu garantieren, dass am Ende wenigstens 850 Euro Rente herauskommen, ist uns sehr viel sympathischer. Außerdem sind dort die Voraussetzungen ganz anders. 35 Versicherungsjahre sind weit einfacher zu erreichen als 40 Beitragsjahre, die in der Koalition diskutiert werden. Zudem will die Koalition auch noch zwingend die private Vorsorge von Menschen, die sich das einfach nicht leisten können.

Herr Sommer, was erwarten Sie noch von der schwarz-gelben Koalition ?

Von dieser Koalition, mit dieser FDP und mit dieser FDP-Führung, erwarte ich nichts mehr. Wo man hinsieht, ob das die Altersarmut oder der Mindestlohn ist: Überall, wo vorausschauende Politik für das Land nötig wäre, blockiert Herr Rösler. Mit ihm an der Spitze ist die FDP zu einem Hemmschuh für solidarische und vorwärtsweisende Entscheidungen in der Politik geworden. Gnade uns Gott, wenn wir mit dieser FDP in eine Rezession wie 2008 rutschen sollten.

Sie empfehlen Angela Merkel, den Koalitionspartner rauszuschmeißen?

Ich habe der Bundeskanzlerin nichts zu empfehlen. Aber ich sage: Wir hatten Glück, dass eine große Koalition regierte, als uns die letzte Krise erwischt hat. Deutschland hatte eine handlungsfähige Regierung mit einer breiten Basis. Die jetzt regierende Koalition hatte vier Jahre Zeit. Passiert ist außer Pleiten, Pech und Pannen nicht viel. Weitere vier Jahre Stillstand kann sich Deutschland nicht leisten.

Hat Sie die Hoffnung auf einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn verlassen?

Oh nein. Ich erwarte, dass die Bundeskanzlerin nicht nur über den Mindestlohn spricht, sondern sich auch für ihn einsetzt. Schöne Worte haben wir jetzt genug gehört. Und wenn Frau Merkel beim Mindestlohn an der FDP scheitert und trotzdem nach der Wahl weiter mit diesem Partner regieren will, dann ist das für uns auch eine Botschaft. Wir Gewerkschafter sagen nicht, wer mit wem ab 2013 regieren soll. Aber wir kämpfen entlang unserer Themen für einen Politikwechsel.

Mit Peer Steinbrück im Kanzleramt?

Das werden die Wähler entscheiden. Und man sollte dem Kandidaten erst einmal Zeit geben, sich programmatisch aufzustellen. Die Positionierung der SPD in Sachen Rente ist für mich eine Hinwendung zu den Menschen, die dieses Land mit ihrer Hände Arbeit tragen. Das ist gut. Der Kandidat Steinbrück hat alle Chancen. Übrigens gilt das auch für die Union. Wenn ich mir den Leitantrag der CDU zum Parteitag in zwei Wochen in Hannover ansehe, dann hat sich da in Sachen sozialer Verantwortung im Vergleich zum Leipziger Parteitag 2003 sehr viel getan. In den nächsten Monaten werden wir Gewerkschafter sehr genau hinsehen, wer uns was verspricht und wie glaubwürdig diese Versprechen sind. Man kann über Helmut Kohl sagen, was man will. Aber sein Satz, „entscheidend ist, was hinten rauskommt“, ist sehr richtig. Nur so tun als ob, reicht eben nicht. Das betrifft auch den Wahlkampf. Wir wissen heute nicht, ob es gelingt, Deutschland aus der Krise herauszuhalten. Wenn uns nächstes Jahr eine Rezession erwischen sollte, dann erwarte ich, dass alle politischen Kräfte die Bekämpfung der Krise wichtiger nehmen als bloßes Wahlkampfgetöse. Wir werden Kurzarbeiterregelungen und Konjunkturhilfen benötigen und einen breiten gesellschaftlichen Konsens, um dann auch den Weg aus der Krise zu finden.

Erwarten Sie eine solche Krise für kommendes Jahr?

Ich will keine Krise herbeireden. Ich will sie nicht. Aber ich bin auch kein Wahrsager und weiß deshalb nicht, ob es 2013 zu deutlichen Einbrüchen bei Wachstum und Beschäftigung kommt. Aber ich sehe mich in Europa um und da erkenne ich bei fast allen unserer Nachbarn sehr deutliche Krisenzüge. Und weil Deutschland wirtschaftlich in Europa sehr eng vernetzt ist, müssen wir uns vorbereiten auf eine Zeit, da die Krise auch zu uns überschlagen könnte. Wir Gewerkschaften erarbeiten deshalb gerade ein Konzept für einen „Europäischen Marshallplan“.

Michael Sommer ist seit 2002 Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).
Michael Sommer ist seit 2002 Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).

© Paul Zinken

Ein gewaltiges Konjunkturprogramm?

Das griffe zu kurz. Wir wollen Europa gründlich renovieren und in den nächsten zehn Jahren dafür Investitionen von zwei Billionen Euro lockermachen. Das Geld soll aber keineswegs nur von Arbeitnehmern und Konsumenten aufgebracht werden. Was wir erwarten, ist, dass die Reichen und Vermögenden über eine Vermögensabgabe zur Finanzierung herangezogen werden. Im Übrigen ist die Einführung der Finanztransaktionssteuer mehr als überfällig. Wir wollen also, dass die Staaten gemeinsam handeln, die Staatsdefizite in den Griff bekommen und nicht die Notenpresse anwerfen müssen. Vor allem aber wollen wir auch private Investoren ermuntern, in großem Stil in europäische Infrastrukturnetze, moderne Kommunikationswege und effiziente, umweltschonende Energien zu investieren. Wenn die Partner in Europa, Politik und Sozialpartner, ein solches Projekt stemmen können, dann wäre das der beste Beweis dafür, dass dieser Kontinent eine Zukunft hat.

Das Gespräch führten Antje Sirleschtov und Rainer Woratschka. Das Foto machte Paul Zinken.

Zur Person:

GEWERKSCHAFTER VON BERUF

Michael Sommer ist seit 2002 der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Bis 2014 will er das Amt behalten. Nach einem Volkswirtschaftsstudium hat Sommer immer in Gewerkschaften gearbeitet.

POSTLER AUS BERUFUNG

Sommer, der 1952 geboren wurde und in Berlin aufwuchs, bezeichnet sich selbst gern als Postler. In jungen Jahren hat er Zeitungen und Post ausgetragen, später war er Funktionär der Postgewerkschaft.

CHEF DES AUSGLEICHS

Viele haben erwartet, dass Sommer öfter mal laut für die Rechte der Arbeitnehmer eintritt. Doch er ist ein Mann des Ausgleichs, der politische Kontakte in alle Richtungen pflegt. Dass er dabei nicht beliebig ist, musste Gerhard Schröder erfahren. Mit dem ehemaligen SPD-Kanzler hat Sommer nach der Agenda 2010 gebrochen.

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