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AfD-Chefin Frauke Petry nach dem Wahlerfolg in Berlin

© AFP/Tobias Schwarz

Die AfD in Berlin: Der gespenstisch schnelle Aufstieg der Populisten

In Berlin schafft die AfD aus dem Stand 14 Prozent! Selbst in Paris, der Hauptstadt eines Landes, in dem Rechtspopulisten tief verwurzelt sind, erreicht Marine Le Pens Front National nur 12 Prozent. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Pascale Hugues

Vergangenen Sonntag in der Abflughalle des Flughafens Paris-Orly. Ein Dutzend Menschen stehen vor den Sicherheitskontrollen Schlange, alle auf dem Weg nach Berlin. Nach einem Wochenende Paris ist Berlin für mich die Rückkehr zur Ruhe, der friedlichen Gemüter, ohne immer wieder „Wir sind in einer Krise, Madame!“ zu hören, und vor allem, ohne das Gebrüll Rechtsextremer, die die Ängste und Ressentiments schüren.

Um genau 18 Uhr kleben alle Augen auf den Smartphones. Die ersten Schätzungen der Berliner Wahl kündigen sich an. Ein Schaudern geht durch die Schlange, als blase ein eiskalter Windstoß durch die Halle. 14 Prozent! Die Zahl wird zwischen den Wartenden weitergereicht, geflüstert wie bei Stille Post.

14 Prozent für eine Populistenpartei, in Berlin! Ich glaube es noch immer nicht. In der weltoffenen und multikulturellen deutschen Hauptstadt, wo das Herz doch traditionell links schlägt. Berlin, Refugium der Kriegsdienstverweigerer, derer, die vor dem Mief der Provinz fliehen wollen. Berlin, die Alternative, die anders denkt, toleranter, offener als alle anderen. Gehyptes Berlin, Sehnsuchtsort der Jungen der Welt. In diesem Berlin haben 14 Prozent für die AfD gestimmt. Selbst in Paris, der Hauptstadt eines Landes, in dem Rechtspopulisten seit langer Zeit tief verwurzelt sind, erreicht Marine Le Pens Front National nur 12 Prozent.

Eine Stewardess teilt mit, das Flugzeug nach Berlin sei nun zum Einstieg bereit. Und plötzlich hallt der Name meiner Stadt ganz anders in meinen Ohren. Ich tue mich schwer, mir vorzustellen, wie 14 Prozent der Berliner einem Programm zustimmen, das klingt wie das moralische Triptychon des französischen Nazi-Kollaborateurs Marechal Pétain: Arbeit-Familie-Vaterland.

Gegen Abtreibung. Gegen die Ehe für alle. Gegen Einwanderung und für die Rückkehr der Frau an den Herd. Als wünschte sich der deutsche Politneuling die Rückkehr in die stickige Adenauerzeit. Wenn die Zukunft einem Angst macht, die Herausforderungen unüberwindbar scheinen – dann ist es einfach, sich an einem idyllischen Zerrbild längst vergangener Zeiten zu wärmen. Schaltet die Fernseher aus!, befiehlt Frauke Petry, und stimmt mit euren Kindern die alten Volkslieder an: Traleri, tralera, die Globalisierung war nie da, jedes Volk für sich, in den eigenen vier Wänden.

„Voilà, die deutsche Marine Le Pen”

„Angst”, ein Wort, so emblematisch für das Deutschland der 80er Jahre, wurde letztlich sogar ins Französische übernommen. Wohl wissend, dass die „Angst” der Deutschen irrational ist, um es zurückhaltend auszudrücken. Ein paar tausend Flüchtlinge in Meckpomm, und die AfD fürchtet, dass sich „nach und nach unser Land und Europa in ein Kalifat verwandelt”. Und die kürzlich erschienene Allensbach-Studie sagt bange: Die Deutschen schwören, dass sie sehr zufrieden mit ihrem Leben sind, sie sehen ihre Arbeit als gesichert, und doch haben immer mehr von ihnen Angst vor der Zukunft. Wie paradox. Aber: Phantomschmerzen sind ja bekanntermaßen oft qualvoller als ihr reelles Pendant.

Die AfD ist in 10 von 16 Landtagen vertreten. Der Kurs auf die Bundestagswahl 2017 ist eingeschlagen. Das ist neu in Deutschland. Bisher war dieses Land der Ausnahmefall in einem Europa, wo populistische Gruppierungen seit langem florieren. War es Deutschland wegen seiner Nazi-Vergangenheit nicht möglich, dieses moralische Tabu zu brechen? Oder nahm der robuste Zustand der deutschen Wirtschaft und die niedrige Arbeitslosenquote den Populisten den Wind aus den Segeln?

Noch nie hat eine rechtsextreme Partei die Pforte des Bundestags überwunden. Doch mit dem Aufkommen der AfD gleicht sich Deutschland an den europäischen Normalzustand an. Nach jedem Landtagswahlsieg schickt Marine Le Pen ihre Glückwünsche auf die andere Rheinseite. „Voilà, die deutsche Marine Le Pen”, raunt es, wenn Frauke Petry im Fernsehen auftritt.

Die ersten Schritte der AfD erinnern mich an die des Front National. Nur, dass der FN Jahre gebraucht hat, um in der ersten Liga französischer Parteien mitzuspielen. Der AfD reichten schon wenig mehr als drei Jahre, um die zweitstärkste Kraft in Meckpomm und Sachsen-Anhalt zu werden, noch vor der CDU. Es ging so schnell, dass man es fast nicht glauben mag. Vor allem nach so einem schönen Wochenende des Flanierens am Seineufer.

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