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Politik: „Die Afghanen sind für die Sicherheit selbst verantwortlich“

Staatsministerin Müller über die Präsidentenwahl, den deutschen Einsatz in Kundus – und den Aufbruch der Frauen

Sie sind gerade in Afghanistan unterwegs, wo im Oktober gewählt wird. Wie ist Ihr Eindruck von der Stimmung im Land?

Für die Wahl haben sich über 90 Prozent der Menschen registriert, davon 42 Prozent Frauen. Das übersteigt alle unsere Erwartungen. Nach 25 Jahren Bürgerkrieg und Schreckensherrschaft der Taliban ist das eine enorme Leistung. Auch wenn es dabei zu Mehrfachregistrierungen gekommen ist, zeigt dies, wie stark hier der Wunsch ist, den Weg der Demokratisierung fortzusetzen.

In Kabul wurde gerade erst ein Anschlag auf die Wahlkommission verübt, in Herat gab es schwere Kämpfe. Sind freie Wahlen so überhaupt möglich?

Natürlich gibt es noch genügend islamistische Kräfte, die die Wahlen und damit eine weitere Demokratisierung gewaltsam verhindern wollen. Es war klar, dass die Lage im Vorfeld der Wahlen angespannt sein würde. Allerdings gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Wahlen gefährdet sind.

Die Macht von Präsident Karsai reicht kaum über Kabul hinaus. Das Land ist tief gespalten. Wie kann die internationale Gemeinschaft in dieser Situation helfen?

Wir leisten nicht nur in Kabul Hilfe, sondern auch in den Provinzen, mit dem Wiederaufbauteam (PRT) in Kundus. Ein zweites deutsches PRT in Feisabad soll noch vor dem Wahltag seine Arbeit aufnehmen. In Kundus ist es gelungen, den Teufelskreis von fehlender Sicherheit und mangelndem Fortschritt beim Wiederaufbau zu durchbrechen. Das kommt bei den Menschen sehr gut an.

Sind die wenigen PRTs nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein?

Das würde ich nicht sagen. Wir haben uns bei der Nato dafür eingesetzt, dass es für die Wahl eine Aufstockung der PRTs gibt. Jeweils ein Bataillon soll nun jedes Team verstärken. Allerdings verläuft der Prozess der Demobilisierung von Kämpfern noch sehr schleppend.

Die internationale Truppe Isaf hat nicht genug Soldaten, um die Wahl zu schützen. Menschenrechtler fordern, mehr Truppen zu schicken. Was halten Sie davon?

Ich kann nicht erkennen, wer das leisten soll. Die internationale Gemeinschaft ist schon sehr engagiert. Die Afghanen sind für Sicherheit und Wiederaufbau selbst verantwortlich. Wir unterstützen sie im Rahmen unserer Möglichkeiten. Nach so vielen Jahren Krieg kann niemand erwareten, dass hier von heute auf morgen europäische Standards herrschen.

In den Provinzen haben die Warlords das Sagen. War es ein Fehler, dass die US-geführte Anti-Terror-Koalition die Warlords zu Verbündeten gemacht hat?

Wichtig ist: In vielen Provinzen haben die Warlords eine starke Stellung. Dort ist die Situation oft dramatisch. Es gab keinerlei staatliche Strukturen. Noch fehlt es an allem: an Richterinnen, Polizistinnen, Lehrerinnen. Auch eine richtige Gesundheitsversorgung gibt es nicht. Entscheidend ist aber: Das Land ist auf dem richtigen Weg.

Was hat sich bei den Menschenrechten konkret verbessert?

Sogar in den Provinzen organisieren sich die Menschen jetzt selbst, auch gegen Widerstände. Nichtregierungsorganisationen bereiten sich aktiv auf die Wahlen vor. Frauen, die in der Tradition der Gesellschaft und unter den Taliban keinerlei Rechte hatten, kommen zusammen, um öffentlich für ihre Rechte einzutreten. Bei der Ausbildung der Polizei gibt es ebenfalls Fortschritte. Auch Frauen werden geschult – unter den Taliban wäre das undenkbar gewesen. Diese Schritte sind für zwei Jahre enorm.

Das Gespräch führte Claudia von Salzen.

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