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Politik: Die Antiburger

Von Lorenz Maroldt

Schwer zu sagen, was seltsamer ist: der Aufstand einiger Kreuzberger gegen die erste McDonald’s-Filiale in ihrem Dönerdorf – oder die massive Aufregung vieler anderer über die Antiburger. In den Internet-Foren wird dieses Thema jedenfalls heiß diskutiert, heißer sogar als die Weltpolitik. Vielleicht, weil es auch Weltpolitik ist?

McDonald’s ist ja nicht einfach nur ein Schnellrestaurant, sondern ein Symbol. McDonald’s steht für das dicke Amerika und eine entmenschlichte Globalisierung, für abgeholzte Regenwälder und die Klimakatastrophe, ist also ein prima Ziel für Gipfelgegner, denen die Fahrt nach Heiligendamm zu mühsam erscheint. Ernährungsphilosophisch begründete Protestnoten, wie sie der Alternativenhäuptling Christian Ströbele in Umlauf bringt, sind kaum mehr als eine wohlfeil servierte, verkochte Sättigungsbeilage. Jede Imbissbude, jeder Kiosk kann es locker mit McDonald’s aufnehmen, wenn es um ungesundes Essen geht. Zudem ist Ströbeles Kreuzberg von McDonald’s-Filialen umzingelt wie Majestix’ kleines Gallierdorf von römischen Lagern, alle erreichbar mit dem Kurzstreckenticket. Südost 36 ist auch ansonsten nicht gerade bekannt für sorgsamen Umgang mit Lebensmitteln, eher für Gammelfleischgefahr, Pausenbrotmangel und die Gemüseschlacht auf der Oberbaumbrücke. Der Schutz armer Schüler, die den Verlockungen des bösen Onkels aus Amerika offenbar herdengleich willenlos ausgesetzt sind, spielt also nur vordergründig eine bedeutende Rolle, auch weil sich diese Art von Moralinsäure gerade so gut durch das regierungsverordnete schlechte Gewissen der Gutessenwollenden frisst. Dahinter aber steht die unverhoffte Chance, Klopfzeichen aus einer abgekapselten Welt zu senden. Es geht gar nicht so sehr um McDonald’s, der Laden ist nur Mittel zum Zweck: eine reizende Einladungskarte zum Vertriebenentreffen. Keine Weltpolitik. Kleineweltpolitik.

Proteste und Kampagnen gegen McDonald’s in Deutschland gibt es, seit es McDonald’s in Deutschland gibt. Dass sie erfolglos waren, wird niemand ernsthaft behaupten. Das Unternehmen sah sich gezwungen, zum vernünftigen Umgang mit den eigenen Produkten aufzurufen, klärt heute über Nährwerte auf, bietet längst mehr an als nur Hackfleisch mit Weichbrot. McDonald’s hat so auch den Film „Super Size Me“ ziemlich gut überstanden, weil außer Morgan Spurlock kein Mensch auf die Idee kommt, sich dreißig Tage lang mit Big Macs vollzustopfen. Und anpassungsfähig ist McDonald’s. Im Londoner Vorort Southall bietet eine Filiale den muslimischen Nachbarn Fleisch von islamisch korrekt, also unbetäubt gemeuchelten Viechern an. Selbst mit vegetarischen Macs haben sie es schon mal versucht. Die Erderwärmung aber macht dem Unternehmen wie auch anderen seiner Art zunehmend zu schaffen. Dass es schlecht ist fürs Klima, wenn im Amazonas immer mehr Wald für Soja-Anbau und Rinderzucht fällt, weiß heute nicht nur der gelehrte Greenpeacefreund. Wer das nicht länger fördern will, muss nicht bei McDonald’s essen, oder zumindest nicht dorthin mit dem Geländewagen fahren. Wenn die Kreuzberger die Welt retten wollen, dann gehen sie eben nicht zu McDonald’s, und dann geht McDonald’s auch wieder weg.

Von den Berliner Antiburgern ist zu hören, es sei Kreuzberger Grundkonsens, dass McDonald’s hier störe und nicht hingehöre; ein derartiges Restaurant passe einfach nicht zur hiesigen Lebensart. Das steht im Widerspruch zum gepflegten Mythos von Kreuzberg als weltoffenem, multikulturellen Biotop, und es bringt den legitimen Bürgerprotest gegen die Ansiedlung eines Drive-in-Schnellrestaurants gleich ums Eck in Verruf. Die vordemokratische Anmaßung, eigene Überzeugungen und Gefühle zum Maßstab für alles und jeden zu machen, ein „wir“ zu definieren, wo sich allenfalls das Ego erbricht, offenbart Blockwartmentalität und generiert neuen, ganz anderen Widerstand: gewalttätigen dafür und gewaltigen dagegen. So erklärt sich die Erregung, die diesem banalen Vorgang vorausgeht. In Kreuzberg eröffnet eine McDonald’s-Filiale. Seltsam, dass es bisher keine hier gab.

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