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Politik: Die Berliner Mauer steht noch – in Afrika

Am 15. November vor 125 Jahren begann in Berlin die Kongokonferenz. Die Grenzen, die die Kolonialmächte auf der Karte des Kontinents zogen, sind bis heute Ursache zahlreicher Konflikte. Über ein in Deutschland vergessenes Ereignis schreibt unser südafrikanischer Stipendiat Dave Durbach.

Gerade hat Berlin den zwanzigsten Jahrestag des Mauerfalls und das symbolische Ende des kalten Krieges gefeiert und sich in dem Ruhm gesonnt, die eigene Trennung überwunden zu haben. Nur wenige werden in diesem Jahr ihre Aufmerksamkeit auf einen anderen Jahrestag richten, den Jahrestag des wohl wichtigsten und einflussreichsten Ereignis in der Geschichte Afrikas, ein Ereignis, das ebenfalls hier in Berlin stattfand. In diesem Fall allerdings gibt es nichts zu feiern. Anders als die Mauer blieben die Grenzen, die damals, vor 125 Jahren, etabliert wurden, bis heute bestehen.

Die Berliner West-Afrika-Konferenz fand vom 15. November 1884 bis zum 26. Februar 1885 statt. Heute ist sie in den meisten Teilen der Welt als „Berlin Konferenz“ bekannt, die Deutschen ziehen es vor, sie „Kongokonferenz“ zu nennen. Die Konferenz wurde einberufen aufgrund der steigenden Spannungen zwischen den Kolonialmächten der Zeit. Auf Einladung des Reichskanzlers Otto von Bismarck kamen Repräsentanten aller europäischer Nationen in die Wilhelmstraße 77: England, Frankreich, Portugal, Spanien, Belgien, Italien und Deutschland ebenso wie Österreich-Ungarn, die Niederlande, Dänemark, Schweden-Norwegen und die Türkei, darüber hinaus Russland und die USA. Sie kamen, um über das Schicksal eines ganzen Kontinents zu beraten. Vertreter Afrikas waren zu keiner Zeit am Verhandlungstisch vertreten.

Grenzziehung mit dem Lineal

Vor der Berlin Konferenz beanspruchten die Kolonialmächte kaum ein Zehntel des Afrikanischen Kontinents, hauptsächlich die Küstenregionen. Zwar einige man sich in Berlin nur auf wenige Grenzen formal. Doch bahnte die Konferenz den Weg für eine schnelle und koordinierte Aufteilung Afrikas unter den europäischen Nationen in den Folgejahren. Zehn Plenarsitzungen und zahllose informelle Verhandlungsrunden führten dazu, dass ein allgemeines Abkommen verabschiedet wurde. Man einige sich auf „Einflusszonen“, die die Grundlage legten für Kolonialstaaten. Der Freie Staat Kongo wurde unter Belgiens König Leopold etabliert, teilweise um zu verhindert, dass Großbritannien oder Frankreich die reichste Region Afrikas kontrollieren würden. Die Konferenz verhinderte so einen europäischen Krieg, rief allerdings zahlreiche afrikanische Konflikte hervor.

Was Deutschland betrifft, wurden Regionen, an denen das Reich strategisches Interesse hatte, formal zu Kolonien und Protektoraten.  Obwohl Deutschland weniger Land kontrollierte als Frankreich, England, Belgien oder Deutschland, war Deutschland genauso an der Rauferei um Afrika beteiligt wie alle anderen auch. Dem Kontinent wurden Nationalstaaten übergestülpt, die ethnische Grenzen und Stammeszugehörigkeiten wenig bis gar nicht berücksichtigten. Teilweise wurden Gruppen durch die neuen Grenzen getrennt. In vielen  Fällen wurden aber auch rivalisierende Gruppen gezwungen, zusammenzuleben. Bis heute können viele afrikanische Konflikte direkt auf diese Grenzkonflikte zurückverfolgt werden. Sozio-ökonomische Strukturen wurden durchbrochen, alte Subsistenzwirtschaften brachen zusammen, Monokulturen entstanden auf Kosten der Anbauflächen für  einheimische Hauptnahrungsmittel, die afrikanischen Länder wurden übermäßig abhängig von fluktuierenden Weltmarktpreisen.

Dann kamen die Kalten Krieger

1963, als die afrikanischen Staaten zügig ihre Unabhängigkeit von Europa gewannen, entschied die neu eingerichtete Organisation für  Afrikanische Einheit, die Grenzen beizubehalten. Man befürchtete neue Konflikte. Das war ein schwerwiegender Fehler. Den Afrikanern war nicht klar, dass die Kalten Krieger dort weitermachen würden, wo die alten europäischen Kräfte aufgehört hatten. In den nächsten zweieinhalb Jahrzehnten wurden bei dem Versuch, Einfluss auf die zerbrechlichen Nationalstaaten zu gewinnen, neue Konflikte begründet.

Perspektiven für Afrikas Grenzen

Heute antwortet auf den Ruf danach, die Grenzen Afrikas anzupassen, zustimmendes Gemurmel aus allen Teilen der Welt. Ob das jemals passieren wird, wird man sehen. Um diesen Plan zum Erfolg zu führen, müssten die Grenzen aufgeweicht werden, ohne dass Macht zentralisiert wird. Stattdessen müssten die Bindungen zwischen regionalen Zusammenschlüssen gestärkt werden, so dass die afrikanische Union enger zusammenwächst und die Abhängigkeit von Europa verringert wird. Dies wird nicht über Nacht erreicht werden können. Während die Geschichte Afrika gelehrt hat, sich nicht von fremden Mächten abhängig zu machen, kann Afrika dennoch vom aktuellen Beispiel der europäischen Union lernen. Afrika wäre ein anderer Kontinent, wenn seine Grenzen durchlässiger gemacht würden: für den Handel, für Reisen und Austausch. Es wäre ein anderer Kontinent, wenn ein integrativer Panafrikanismus gefördert werden würde, der über ethnische und nationale Zugehörigkeiten hinauswiese. In der Berliner Wilhelmstraße sind Tafeln angebracht worden, die an die Geschichte der Gebäude erinnern, die hier standen. Ein Hinweis auf die Kongokonferenz allerdings fehlt. Die Konferenz ist aus der öffentlichen Erinnerung getilgt worden. In Afrika ist die Erinnerung lebendig. Obwohl die Berliner Mauer vor 20 Jahren gefallen ist, wird die Stadt für viele Afrikaner ein Synonym für Teilung bleiben.

Dave Durbach ist Südafrikaner. Er ist Stipendiat des Internationalen Journalisten Programms beim Tagesspiegel.
Übersetzung: Anna Sauerbrey

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