zum Hauptinhalt

Politik: Die bürgerliche Utopie Von Ursula Weidenfeld

Gerade mal fünf Tage ist das Elterngeld da, und schon ärgern sich die ersten Betroffenen mächtig. Wer gedacht hat, dass jeder profitiert, vor allem aber solche, die das Geld wirklich brauchen, ist enttäuscht.

Gerade mal fünf Tage ist das Elterngeld da, und schon ärgern sich die ersten Betroffenen mächtig. Wer gedacht hat, dass jeder profitiert, vor allem aber solche, die das Geld wirklich brauchen, ist enttäuscht. Das Elterngeld funktioniert nämlich umgekehrt. Es ist eine Leistung vor allem für gutverdienende Paare, die sich für Kinder entschieden haben. Je besser die Partner verdienen, desto höher fällt das Elterngeld aus. Das ist nicht ungerecht. Das Elterngeld reflektiert nur die Einsicht, dass Gutverdiener auf mehr Einkommen verzichten müssen, wenn sie eine Familie gründen.

Es steht – wie andere familienpolitische Initiativen der Bundesregierung – allerdings für einen bemerkenswerten Paradigmenwechsel: Ein bürgerliches Familienbild rückt nach und nach in den Vordergrund der Überlegungen und tritt an die Stelle der sozialpolitisch motivierten Familienpolitik des letzten Jahrhunderts. Zuwendungen werden zu Belohnungen für ein konkretes, ein erwünschtes Familienbild. Beim Elterngeld ist es offensichtlich. Gesellschaftlich erwünscht ist heute das Doppelverdiener-Elternpaar mit hohem Einkommen. Auch die verbesserte steuerliche Absetzbarkeit der Kinderbetreuung setzt voraus, dass man Steuern zahlt und Kinderbetreuungsleistungen von Dritten einkaufen kann und muss.

Das Mehrgenerationenprojekt der Familienministerin atmet denselben Geist. Die Menschen sollen sich in einem Haus treffen, um Freundschaften zu schließen, Dienstleistungen anzubieten und Nachbarschaftshilfe an der jeweils anderen Generation zu üben. Dahinter steht die Vorstellung, dass Jüngere von der Erfahrung und der Zeit der Älteren profitieren können – und dass sich das in Form von Familienanschluss und Dienstleistungen entgelten lässt.

Ein Bürgertreff ist immer eine feine Sache. Doch die Frage ist, ob die Mehrgenerationenhäuser der Familienministerin darüber hinaus etwas bewirken. Das, was Ursula von der Leyen möchte – den Zusammenhalt der Generationen stärken –, ist in diesen Breiten ein klassisches Sujet der bürgerlichen Großfamilie. Da, wo es genügend Raum füreinander gibt, wo professionelle Hilfe bereitsteht, und wo es dazugehört, gleichermaßen freiwillig mit Oma und Enkel umzugehen, lässt sich die Mehrgenerationenidee einigermaßen entspannt in die Realität bringen. Da ist sie aber schon Realität, ohne dass es eines staatlichen Rahmens bedürfte.

Da aber, wo die Ministerin diese Realität gerne erschaffen würde, wird sie scheitern. Nicht zufällig sind die Generationen im Lauf der letzten Jahrzehnte auseinandergerückt. Die Jungen, die Alten und die mittlere Generation haben es als Befreiung empfunden, nicht auf den anderen angewiesen zu sein, nicht aufeinanderzuhocken und sich nicht von jedem hereinreden lassen zu müssen. Der Ort, an dem mehrere Generationen gemeinsam gut auskommen, mag der Ministerin als ein idealer erscheinen. In der Lebenswirklichkeit ist er die Ausnahme.

Vielleicht träumen ja einige junge Frauen von der Leihoma, die auf die Kinder aufpasst, oder vom Leihopa, der sich um die Hausaufgaben und den Hund kümmert. Ganz sicher träumen sie nicht davon, den Leihopa zum Arzt zu bringen, wenn er nicht mehr so gut sieht. Dass die Generationen sich auseinandergelebt haben, ist ein Produkt des Wohlstands, des Komforts – und der Freiheit, eigene Entscheidungen treffen zu können. Sie wieder zusammenzuschmieden, hat mit einer zur Neutralität verpflichteten Familienpolitik wenig zu tun. Dafür umso mehr mit bürgerlichem Utopismus.

-

Zur Startseite