zum Hauptinhalt

Politik: "Die CDU war gleichgeschaltet"

Der Grüne Fraktionschef über die Folgen der christdemokratischen Krise und die Lage seiner ParteiRezzo Schlauch (52) gehört seit vielen Jahren zu den bekanntesten Köpfen des realpolitischen Flügels der Grünen. Seit dem rot-grünen Wahlsieg 1998 führt der Rechtsanwalt aus Stuttgart zusammen mit Kerstin Müller die Bundestagsfraktion.

Der Grüne Fraktionschef über die Folgen der christdemokratischen Krise und die Lage seiner Partei

Rezzo Schlauch (52) gehört seit vielen Jahren zu den bekanntesten Köpfen des realpolitischen Flügels der Grünen. Seit dem rot-grünen Wahlsieg 1998 führt der Rechtsanwalt aus Stuttgart zusammen mit Kerstin Müller die Bundestagsfraktion. Mit Schlauch sprachen Stephan-Andreas Casdorff und Matthias Meisner.

Alle reden von Spendenaffäre und Amtszeitbegrenzung. Nur die Grünen wollen ihre Partei so reformieren, dass jeder so lange im Amt bleiben kann wie er will?

Wir stehen erst am Anfang einer gesellschaftlichen Debatte über die Begrenzung der Parteienmacht, über die Bürgergesellschaft und mehr direkte Demokratie. Diese Diskussion ist überfällig. Und ich bin mir sicher, dass die Spendenaffäre der CDU nicht ohne Konsequenzen für unser demokratisches System bleiben kann. Indes: Ich warne vor Schnellschüssen. Der Vorschlag, die Amtszeit des Kanzlers zu begrenzen, ist zwar auf den ersten Blick attraktiv. Aber bei uns wird - anders als in den USA, wo das Volk den Präsidenten wählt - der Kanzler vom Bundestag gewählt. Und es stellt sich schon die Frage, ob es sinnvoll ist, dass Abgeordnete für beliebig viele Legislaturperioden gewählt werden können, der Kanzler aber nur für zwei und danach in der zweiten Reihe herumsitzt.

Ist es denn sinnvoll, dass Abgeordnete über viele Wahlperioden im Bundestag sitzen können - drei, vier, fünf?

Wir sollten jetzt nicht alte grüne Strukturen, die sich als sehr problematisch erwiesen haben, wieder ausgraben.

Wie wirkt die Debatte um die Spendenaffäre auf Ihre innerparteiliche Diskussion um die Parteireform?

Hier werden von einigen - interessengeleitet - sehr oberflächlich falsche Parallelen gezogen - nach dem Motto, eine Fehlentwicklung wie bei der CDU gab es bei uns nicht, weil wir die Trennung von Amt und Mandat haben. Die CDU hat über Jahre ein höchstmögliches Vertrauen auf eine einzige Person konzentriert, und das ohne jede Transparenz. Bei den Grünen ist alles transparent, aber es gibt ein grundsätzliches Misstrauen in die Führungsleute. Die CDU ist eine gleichgeschaltete Gruppierung gewesen, ohne innere demokratische Strukturen. Dagegen sind die Grünen eine lebendige Partei, in der immer diskutiert wird. Teilweise sogar zuviel.

Was muss anders werden?

Diese organisierte Verantwortungslosigkeit ist ein unhaltbarer Zustand. Wir scheitern dabei an unseren Strukturen, unserer Vielstimmigkeit. Während die CDU im Begriff ist, an Fettleibigkeit zugrunde zu gehen, leiden wir an Magersucht.

Statten die Grünen ihre eigene Partei zu schlecht aus?

Die Landesverbände der Partei haben im finanziellen Bereich zu große Eigenständigkeiten. Der Bundespartei fehlt es an Geld.

Machen Sie doch einen Landtagsfraktionschef zum Parteichef...

Unabhängig von der Strukturdebatte sind die Grünen gut beraten, die Auswahlmöglichkeiten für die Führung zu erweitern.

Kampfkandidaturen um den Parteivorsitz schrecken Sie nicht?

Gegenkandidaturen sind wichtig. Ansonsten wären wir so gleichgeschaltet, wie die CDU es über viele Jahre war.

Wird die Strukturdebatte nicht nur angeschoben, um Joschka Fischers Lieblings-Duo ins Amt zu heben, Renate Künast und Fritz Kuhn? Während die Gegner der Reform mobilisieren, um die Vorstandssprecherin Antje Radcke im Amt zu halten?

Sie hätten Recht, wenn die Diskussion um die Trennung von Amt und Mandat ganz neu wäre. Es geht nicht um Fritz Kuhn und Renate Künast, sondern um die Frage, ob wir für die Regierungsbeteiligung genug Durchschlagskraft haben. Von einer Regierungspartei erwarten die Menschen klarere Orientierung.

Das hört sich so an, als seien Sie gegen die Doppelspitze.

Die Doppelspitze steht derzeit nicht zur Diskussion.

Sind Sie für Fritz Kuhn als Parteichef?

Es ist kein Geheimnis, dass mich mit Fritz Kuhn eine lange politische Freundschaft verbindet.

Profitieren die Grünen von der CDU-Affäre?

Ich halte nichts von Kriegsgewinnlertum à la FDP. Auch wenn die FDP in Umfragen zulegt, ist sie massiv unter Druck, weil die hehren Grundsätze, die der Staatsschauspieler Westerwelle auf der Bundesebene vertritt, der Nagelprobe in Hessen, wo die Partei an der Macht hängt, nicht standhalten.

Setzen sich die Grünen in NRW ausreichend vom Filz der SPD ab?

Deutlich. Die Grünen dort bemühen sich, den Auftrag des dortigen Landtags-Untersuchungsausschusses zur Flugaffäre zu erweitern. Aber gewiss ist Filz hartnäckig. Wir werden einen langen Atem brauchen.

Den Filz bestreiten Sie nicht?

Es gibt überall dort Filz, wo Parteien zu lange an der Macht sind. Das ist in Nordrhein-Westfalen ebenso wie in Bayern oder Baden-Württemberg. Gegen diesen Filz der Altparteien sind wir einst angetreten. Und dagegen kämpfen wir auch heute.

Sorgen Sie sich, dass die Grünen den Einzug in den schleswig-holsteinischen Landtag verpassen?

Nein. Die Stimmung dort ist für die Grünen positiv, weil Herr Rühe zu Beginn des Wahlkampfes verkündet hat, die Ökologie müsse zehn Jahre auf die Pausenbank: Er will ein Nationalparkprojekt stoppen und lehnt einen sanften Tourismus ab. Es ist von vorgestern, den überwundenen Konflikt zwischen Ökologie und Ökonomie so neu zuzuspitzen.

Die Grünen haben doch die Ökologie längst selbst vergessen.

Dass die Ökologie insgesamt in der politischen Werteskala verloren hat, heisst noch lange nicht, dass die Grünen die Ökologie vergessen haben. Wir haben einem störrischen und hinhaltenden Koalitionspartner viele einzelne Projekte abgetrotzt, etwa die Ökosteuer und den damit verbundenen Einstieg in eine zukunftsfähige Energiewirtschaft. Beim Atom-Ausstieg sind wir auf einem guten Weg.

Mit 30 Volllastjahren pro Meiler?

Nein, mit 30 Kalenderjahren. Und zwar Gesamtlaufzeit, nicht Restlaufzeit.

Das sieht die SPD anders.

Sie täuschen sich. Unsere vor Weihnachten mit dem Kanzler erzielte Einigung ist eindeutig. Und wenn derzeit bei den laufenden Verhandlungen ein großes Gepokere stattfindet, ist das normal.

Es gibt also keinen Spielraum? 30 Kalenderjahre und Schluß?

Wir verhandeln 30 Kalenderjahre.

Ist es zwingend, wenigstens einen Meiler in dieser Legislaturperiode abzuschalten?

Bei Verhandlungen irgend etwas für zwingend zu halten, ist das Dümmste, was man überhaupt machen kann. Sonst holt man sich blutige Nasen. Ich gehe aber davon aus, dass es bei einer Konsenslösung zu ersten Abschaltungen kommt.

Stade, Obrigheim, Biblis, Mülheim-Kärlich - welches Kraftwerk wird abgeschaltet?

Es wird verhandelt. Aber ich verhandle jetzt nicht mit Ihnen.

Die Grünen sind doch Realisten: Wie geht es weiter mit den genannten Kraftwerken?

Kein weiterer Kommentar. Die Atomwirtschaft steht insgesamt zur Disposition. Und was dabei im einzelnen herauskommt, werden wir sehen.

Rechnen Sie überhaupt noch mit dem Atomkonsens?

Natürlich. Es wird ja so getan, als ob nur die rot-grüne Koalition am Konsens interessiert wäre. Auch die Atomindustrie müsste sehr interessiert an einer konsensualen Lösung sein, um die sich auftürmenden Probleme zu lösen. Stichworte: Wiederaufarbeitung, Entsorgung, Transporte. Die Probleme der Atomwirtschaft mit einer Dissenslösung wären ungleich größer als unsere.

Sie haben selbst lange Jahre Oppositionspolitik gemacht. Was wünschen Sie der CDU?

Für die CDU ist es notwendig, dass sie sich personell, strukturell und programmatisch erneuert. Ob sie für diesen Dreiklang die Kraft hat, bleibt abzuwarten.

Ist Friedrich Merz kein Neuanfang?

Das ist ein knochenharter Konservativer. Da sehe ich keine programmatische Erneuerung, auch wenn er etwas jünger ist als die anderen Führungsleute. Knochenkonservativ zu sein heißt, gesellschaftliche Realitäten nicht wahrzunehmen. In der letzten Wahlperiode hat Merz eine scharfe Attacke gegen das Staatsbürgerschaftsrecht gefahren.

So jemand ist nicht koalitionsfähig?

Es geht jetzt nicht um eine Koalition mit der CDU. Wir sind in einer Koalition mit der SPD.

Mit Otto Schily.

Otto Schily ist unser Innenminister, mit dem wir an vielen Punkten viele Differenzen haben. Aber wir haben mit ihm eine längst überfällige Reform des Staatsbürgerschaftsrecht hinbekommen. Die würden wir mit einem Herrn Merz nicht hinkriegen. Aber es ist nicht zu verkennen, dass es inhaltliche Differenzen im Bereich der Flüchtlings- und der Ausländerpolitik mit Schily gibt. Wir dürfen in diesem Bereich nicht nachlassen.

Wäre es ein Signal zur Erneuerung der CDU, Angela Merkel zur Parteichefin zu wählen?

Dieser Name steht eher für programmatische Erneuerung als Friedrich Merz. Aber es wird nicht ausreichen, einfach die Spitze auszuwechseln. Die CDU hat über Jahrzehnte, im Gegensatz zu unserer Verfassung, innerparteilich undemokratische Strukturen entwickelt. Artikel 21 sagt, dass Parteien auch ihre inneren Strukturen an demokratischen Prinzipien auszurichten haben und ihre Finanzwirtschaft möglichst transparent gestalten müssen.

Was passiert, wenn die CDU nicht wieder auf die Beine kommt?

Jede Demokratie braucht eine starke Opposition, um den Wettbewerb der Ideen zu organisieren. Wenn das ausfällt, ist eine Kontrolle der Regierung nicht gewährleistet. Das wäre ein absolutes Defizit.

Haben Sie Mitgefühl mit der CDU? Ist es nicht tragisch, was mit Schäuble passiert ist?

Schäuble war Teilhaber und Nutznießer am System Kohl. Insofern ist er kein Opfer. Er ist mitverantwortlich. Mein Mitleid hält sich in Grenzen.

Fürchten Sie, dass die SPD bei der nächsten Bundestagswahl die absolute Mehrheit holt?

Wenn die CDU sich nicht berappelt, wird sich das Parteiensystem insgesamt neu auffächern. Da ist vieles möglich.

Welchen Christdemokraten können die Grünen eine Heimat bieten?

Es hat noch keiner angeklopft. Wollen wir erst einmal abwarten.

Wo sind denn die ökologisch orientieren Wertkonservativen?

Ich sehe, dass die CDU in übelster Weise gegen Ökologie polemisiert. Noch vor zwei Jahren haben Schäuble und Merkel die gleichen Prinzipien zur ökologischen Steuerreform vertreten, die sie jetzt attackieren.

Die ökologisch orientierten Konservativen sind also heimatlos?

Ich denke, viele sind bei den Grünen. Aber natürlich muss eine Partei, die über Jahre hinweg Ökologie mit starkem oppositionellen Gestus in den Mittelpunkt ihrer Politik gestellt hat, in der Regierung auch Enttäuschung produzieren.

Sehen Sie die Grünen in der Krise?

Nein. Die Grünen haben aber allen Anlass, sich mit ihren Strukturschwächen und der programmatischen Erneuerung zu befassen.

Die Strukturen der Grünen sind nicht regierungsfähig?

Anders: Die Strukturen der Grünen sind nicht wettbewerbsfähig.

Alle reden von Spendenaffäre, Amtszeitbegr

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false