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Politik: „Die Chancen sind viel größer als die Risiken“

Mehr Wettbewerb, weniger Bürokratie – Ralf Sjuts ist der einzige Kassenchef, der den Gesundheitsfonds lobt

Sie sind offenbar der einzige Krankenkassenchef, der den geplanten Gesundheitsfonds gut findet. Warum?

Das Modell besitzt das Potenzial für dreierlei: für weniger Bürokratie, für mehr Wettbewerb und für eine gerechtere Finanzierung des Gesundheitssystems.

Ihre Kollegen warnen unisono vor einem bürokratischen Monster…

Die Befürchtung, dass eine gigantische Behörde entstehen könnte, die zu Ineffektivität und Bürokratie neigen würde, haben viele. Es kommt darauf an, wie man es ausgestaltet. Man kann auch eine solche Institution schlank machen. Es macht doch einen Unterschied, ob ein Betrieb Monat für Monat mit 253 Krankenkassen abrechnet oder ob er das nur noch mit einer Institution tun muss. Auch beim Risikostrukturausgleich bedeutet die Vielzahl der Kassen einen Riesenaufwand. Künftig müsste das nur noch zwischen zwei Stellen hin- und hergehen. Es leuchtet mir nicht ein, weshalb das schlecht sein soll.

Ein Vorteil für die Kassen könnte also sein, dass sie Personal sparen?

Ich sehe nicht, dass Arbeitsplätze wegfallen. Da wird nur manches anders verteilt. Es kommt drauf an, nicht zu jammern, sondern aktiv mitzugestalten – auch im Interesse der eigenen Beschäftigten.

Warum sehen Ihre Kollegen die von Ihnen gepriesenen Vorteile nicht?

Ich weiß es nicht. Vielleicht schwingt die Angst mit, dass ihnen ein Teil der Finanzautonomie genommen wird. Und das ist ja richtig: Wenn es quasi einen Einheitsbeitrag gibt, dann ist dieser Teil der Finanzhoheit bei der Institution Gesundheitsfonds und nicht mehr bei der einzelnen Kasse angesiedelt. Daraus aber den Schluss zu ziehen, es gebe nur noch eine Einheitskasse und keinen Wettbewerb mehr, ist viel zu kurz gedacht. Es ist anders herum: Weil wir einen einheitlichen Beitrag zur Grundabsicherung bekommen, haben wir neue Spielräume, um den Bedürfnissen der Versicherten darüber hinaus Rechnung zu tragen. Das wird sehr viel bunter als heute.

Es ist nicht selbstverständlich, dass eine gesetzliche Kasse auf Wettbewerb pocht statt auf Risikostrukturausgleich…

Unsere Aufgabe ist es nicht, Institutionen zu schützen, sondern im Interesse der Versicherten tätig zu sein. Natürlich sind das jetzt noch keine Riesenschritte bei der Reform, ich würde mir manches mehr wünschen. Aber die kleinen Schritte, die jetzt gegangen werden, machen mich eher hoffnungsfroh als ängstlich.

Gefällt Ihnen alles an den Eckpunkten?

Natürlich sind die Eckpunkte nicht zu hundert Prozent zu begrüßen. Aber es macht keinen Sinn, alles schon schlechtzureden, bevor es gestartet ist. Ich bewerte die Chancen der Eckpunkte wesentlich höher als die Risiken. Und ich sehe vor allem, dass wir mehr Möglichkeiten bekommen, unsere Produktpalette zu gestalten. Bisher ist alles überreguliert, es geht nur über Verbände und Kassenärztliche Vereinigungen. Jetzt erhalten wir neue Möglichkeiten – und haben schon wieder Angst.

Sie werden sich also auch aus der geplanten Infokampagne der Kassen ausklinken?

Daran werden wir uns natürlich nicht beteiligen.

Sie gelten als Schwimmer gegen den Strom. Als alle Hausarztmodelle wollten, haben sie ein Facharztmodell gefordert. Haben Sie noch mehr unkonventionelle Ideen?

Die Ideen waren immer nur so lange unkonventionell, bis andere auch auf den Trichter kamen. Etwa bei den Internet-Apotheken. 1997 bin ich für meinen Vorstoß noch belächelt worden.

Haben Sie sich eigentlich Branchenärger eingehandelt mit Ihrem Politikerlob?

Es gab keinen Ärger, aber verständnisloses Kopfschütteln. Auch in der eigenen Kasse musste ich erst viele überzeugen.

Die Fragen stellte Rainer Woratschka.

Ralf Sjuts (47) ist seit 2004 Vorstandschef der Deutschen BKK in Wolfsburg. Mit 1,1 Millionen Versicherten ist sie die größte deutsche Betriebskrankenkasse.

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