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Politik: Die Chefin reformiert sich selbst

MERKELS NEUE CDU

Von Robert Birnbaum

Starker Tobak, Gerhard Schröder! Und den dann gleich auch noch als tiefen Lungenzug in die sozialdemokratische Brust: Zurück zur „viktorianischen Armenvorsorge“ wolle die CDU mit ihrem Herzoglichen RuckKonzept, polemisiert der Kanzler und SPD-Chef, völlig anders als die SPD, Retterin der Solidarversicherung! Angela Merkel wird sich im Stillen die Hände reiben. Die CDU-Vorsitzende hat eine Rechnung aufgemacht. Und die geht bisher auf.

Die Rechnung hat viel mit dem auf den ersten Blick verblüffenden Zustand zu tun, dass die CDU mitten in einer der tiefsten ökonomischen Krisen des Landes nichts Gescheiteres zu tun hat, als sich über die fernere Zukunft die Köpfe heiß zu reden. Der Staat ist pleite, die Wirtschaft liegt darnieder – und die CDU debattiert über den Sozialausgleich in der Krankenversicherung im Jahre 2013. Ein bisschen weltfremd geworden durch die Opposition, die Christdemokraten?

Oh nein, genau anders herum. Da macht sich jemand gerade stark dafür, die Opposition zur Regierung zurückzu- führen. Die Lehrmeister der Angela Merkel heißen Niccolo Macchiavelli, Helmut Kohl und Roland Koch. Die CDU-Chefin hat ihrer Partei eine Programmdiskussion verordnet, ohne sie so zu nennen. Und ohne den Nachteil aller Programmdebatten, dass sie sich gern im Minenfeld der Traditionsbegriffe und Ideologismen verlaufen. Norbert Blüm hat versucht, den Streit auf diese Ebene zu ziehen – Schaden genommen hat nur er selbst. Schröder wird es noch weniger gelingen. Der SPD-Chef stärkt im Gegenteil Merkels Stellung im Unionsgefüge: Wer den Gegner derart gegen sich aufbringt, streift den Ruf der inhaltsleeren Immer-nur-Taktikerin leicht ab.

Den ist sie ohnehin los, wie der neuerdings beliebte Maggie-Thatcher-Vergleich zeigt. Dabei ist der ziemlich schief. Merkel ist nicht ideologisch fixiert wie einst die Eiserne Lady. Sie hat diesen Teil der Lektion mehr von Macchiavelli und von Koch entlehnt: Wenn du als Oppositionspolitiker Position beziehst, wähle eine, die weit voraus liegt. Die Partei wird nicht bis dahin folgen, es wird Kritik und Kompromisse geben. Aber wenn die interne Debatte nicht aus dem Ruder läuft, wird ein großer Schritt in deine Richtung übrig bleiben. Und die Erinnerung, dass du ganz vorne warst – und gestanden hast.

Genau dies hat Merkel eingeleitet, als sie sich ohne Wenn und Aber zum Herzog-Konzept bekannte. Es war in Richtung Volk durchaus mutig, in Richtung Partei begrenzt riskant. Liebhabern filigraner Taktiken war immer aufgefallen, dass die Herzog-Kommission aus dem Querschnitt aller relevanten CDU-Gruppen bestand. Wer in der Kommission für Systemwechsel in der Krankenversicherung stimmt, kann schlecht hinterher Grundsatzeinwände gelten lassen.

Dabei geht der Herzog-Effekt weit darüber hinaus, Angela M. kanzlerabel zu machen. Die Reformdebatte in der CDU hat das Zeug, die größte Oppositionspartei insgesamt auf die Überholspur zu bringen – nicht trotz, sondern wegen des Streits mit dem Sozialflügel. Stimmt der nämlich am Ende dann doch zu, wird das Ergebnis politisch nahezu unangreifbar. Ein Reformmodell, das eine ganze Volkspartei mitträgt, entfaltet seine eigene Wucht. Erkannt hat diese neue Lage am klarsten und schmerzlichsten die FDP. Die hat zum „Oppositionsgipfel“ geladen – offiziell die Union, in Wahrheit sich selbst, gegen das Vergessenwerden. Mit der liberalen Eigenständigkeit verhält es sich bis auf weiteres wie mit der Unabhängigkeit des abhängig Beschäftigten: Die Gedanken sind frei.

Merkel aber ist, wenn der CDU-Parteitag ihr folgt, nicht bloß virtuell frei. Wer von sich behauptet, die Lösung für die großen Zukunftsfragen zu haben, dessen Image und Kurs hängen nicht mehr komplett davon ab, ob er in den vergleichsweise kleineren Gegenwartsfragen Blockade oder Kompromiss betreibt. Schröder weiß schon, warum er so zornig ist.

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