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Politik: Die Chefin und der Übervater

Die SPD in NRW steht Müntefering politisch schon lange nicht mehr nah – geblieben ist großer Respekt

Die Bemerkung mit dem Arbeiterführer hat ihn erkennbar irritiert. Als Jürgen Rüttgers am Tag nach Münteferings Rücktritt gefragt wird, wie er den Satz des Vizekanzlers – „ein Arbeiterführer in Nordrhein-Westfalen reicht“ – auffasse, übersieht der Düsseldorfer Ministerpräsident das Wesentliche. „Das war ein großes Kompliment für mich“, sagt Rüttgers und spricht dann noch von dem großen Respekt, den er Münteferings Geradlinigkeit entgegenbringe. Dass Rüttgers die ironische Bemerkung zu einem Kompliment umdeutet, zeigt die Verunsicherung in der Union: Wird Müntefering womöglich in der Heimat für eine politische Veränderung 2010 kämpfen?

Diese Frage hat sich der eine oder andere in Nordrhein-Westfalen gestellt. Zur Halbzeit der Legislaturperiode liegt die CDU in den meisten Umfragen zwar hinter ihrem Wahlergebnis von 44 Prozent, aber immer noch deutlich vor der SPD. Auch in den persönlichen Werten sticht Jürgen Rüttgers die designierte Herausforderin Hannelore Kraft derzeit aus – im direkten Vergleich würden sich 44 Prozent für den Amtsinhaber und 32 Prozent der Wähler für die sozialdemokratische Kandidatin aussprechen, die noch das Handicap hat, nicht bekannt genug zu sein. In dieser Situation hat ein anderer Satz von Müntefering bei Rüttgers die Sorge ausgelöst, er müsse womöglich gegen ein sozialdemokratisches Schwergewicht antreten. „Dies ist kein Abschied und kein Ausstieg“, hatte Müntefering ausdrücklich mit Blick auf Nordrhein- Westfalen geschrieben.

Dass Müntefering seine Fans nicht nur im Sauerland hat, wissen die Genossinnen und Genossen schon lange. Egal, wen man derzeit auch fragt, überall spürt man Bedauern. „Er lebt soziale Gerechtigkeit“, heißt das in den Worten von Norbert Römer, der ihm im Parteibezirk Westliches Westfalen als Vorsitzender nachgefolgt ist. Ähnliche Kommentare bekommt man allerorten, wo man nach „dem Franz“ fragt. Müntefering wird für seine direkte Art respektiert, seine Art, Klartext über kurze Sätze zu formulieren – selbst da, wo er nicht auf Wellenlänge mit dem Publikum lag.

Obwohl er in der Nähe der Herzkammer der SPD – in Dortmund – aufgewachsen und politisch sozialisiert wurde, hat er sich erstaunlich viele Konflikte mit den eigenen Leuten geleistet. Als er es für nötig hielt, Nordrhein-Westfalens SPD zu modernisieren, und die mächtigen Parteibezirke als eigenständige politische Einheiten abgeschafft werden sollten, setzte er das am Ende als Parteivorsitzender gegen heftigsten Widerstand aus den eigenen Reihen durch. Wer sich später über den Modernisierer Müntefering wunderte, der die Agenda verteidigte, obwohl fast niemand mehr hinter ihm stand, musste sich nur an diese Episode erinnern. „Wenn eine richtige Politik noch nicht populär ist, muss man dafür kämpfen, dass sie populär wird“, hat er dann in solchen Momenten formuliert. Zuletzt hat er den Satz oft wiederholen müssen.

Im Agenda-Streit hat er sich am Ende auch nicht mehr auf seine Nordrhein-Westfalen verlassen können. Hannelore Kraft, die neue Vorsitzende, hatte früher als andere gespürt, dass sie im Schraubstock zwischen dem selbsternannten Arbeiterführer Jürgen Rüttgers und der Linkspartei mehr für soziale Gerechtigkeit tun muss. Sie hat sich beim Arbeitslosengeld gegen Müntefering gestellt. Sie hat darüber allerdings viel mit ihm gesprochen und darauf geachtet, dass man jenseits dieser Frage noch genügend gemeinsame Ziele findet. Der Antrag „Gute Arbeit“ für den Parteitag, in dem sich als weitere Ziele noch Mindestlohn und Einschränkungen der Leiharbeit finden, ist ihr gemeinsames Werk. Dieser Antrag hat das Verhältnis zu den in Nordrhein-Westfalen mächtigen Gewerkschaften entspannt, auf deren Unterstützung Hannelore Kraft vor der Wahlauseinandersetzung 2010 setzt.

Bei dieser Ausgangslage ist Müntefering allenfalls eine Art Übervater, der ihr helfen soll, die Niederlage von 2005 auszubügeln. In all ihren Reden spürt man das. Neuerdings beendet Hannelore Kraft ihre Auftritte in der Region mit dem Satz: „Lasst uns das Leben der Menschen etwas besser machen.“ Genauso hatte Franz Müntefering formuliert, aber das Urheberrecht hat in diesem Fall ein anderer Sozialdemokrat: Johannes Rau.

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