zum Hauptinhalt

Politik: Die China-Frage

Von Harald Schumann

Die Nachricht klingt schon seit gut 20 Jahren immer gleich. Und doch sagt kaum eine Meldung mehr über die Zukunft der Menschheit als diese: China wächst. Um fast elf Prozent legte die Wirtschaftsleistung des Landes im vergangenen Halbjahr zu. Der Wert der exportierten Güter stieg gegenüber dem Vorjahr um 25 Prozent. Der damit erzielte Handelsüberschuss gegenüber dem Rest der Welt wuchs gar um 45 Prozent.

Diese und andere Rekordwerte aus China erscheinen vielen Ökonomen und Politikern in den Wohlstandsländern bisher lediglich als Ausdruck der zwar spektakulären, aber doch erwünschten Integration des weltgrößten Entwicklungslandes in die globalisierte Marktwirtschaft. Zur Gelassenheit besteht allerdings kein Anlass. Denn längst ist zu erkennen, dass der Aufstieg Chinas zur wirtschaftlichen Supermacht das gesamte Gefüge der Weltökonomie und -ökologie fundamental in Frage stellt.

Das beginnt schon mit dem eisernen Kurs der chinesischen Führung zur Förderung der Exportwirtschaft. Sowohl die Löhne als auch der Kurs der Landeswährung Yuan werden mittels Staatsgewalt auf extrem niedrigem Niveau gehalten. So bleibt der Standort China konkurrenzlos billig und erzielt einen stetig wachsenden Handelsüberschuss, sogar im Handel mit dem Exportweltmeister Deutschland. Das kostet die bisherigen Industriestaaten, erst recht aber viele Entwicklungsländer, Jahr um Jahr viele Millionen Arbeitsplätze und hat nichts mit dem klassischen Modell der Nutzung komparativer Kostenvorteile in einem Freihandelssystem zu tun. Daher ist es nur eine Frage der Zeit, wann daraus große und gefährliche Handelskonflikte erwachsen werden.

Das Ungleichgewicht im Außenhandel geht einher mit der wachsenden Destabilisierung des Finanzsystems. Dort verwandelt sich Chinas Stärke in Amerikas Schwäche. Weil Pekings Zentralbank mit massiven Dollarkäufen den Kurs manipuliert, bleibt der Dollar auf den Weltmärkten überbewertet und Amerika konsumiert auf Pump, verbraucht also weit mehr, als im Land selbst hergestellt wird. Nicht nur, aber auch wegen Chinas Exportwahn haben die USA eine beispiellose Verschuldung gegenüber dem Ausland aufgebaut, und Ökonomen aller Couleur warnen vor einem Dollar-Crash mit schweren Folgen, wenn die Akteure nicht gemeinsam gegensteuern.

Parallel dazu ist China infolge seines Jahrhundert-Booms zu einem der größten Käufer von Rohöl und anderen Rohstoffen aufgestiegen. Das hat nicht nur eine globale Preisspirale in Gang gesetzt. Zugleich tritt das Reich der Mitte nun an allen geostrategischen Fronten den bisherigen Großverbrauchern Europa, USA und Japan als Konkurrent entgegen und schafft neue Konflikte mit ungewissem Ausgang. Und so wie China Rohstoffe benötigt, genauso nimmt es schließlich die Ökosphäre des Planeten in Anspruch. Beim derzeitigen Wachstumstempo gehen in China alle drei Jahre ebenso viele neue Kohlekraftwerke in Betrieb, wie Deutschland insgesamt an Kraftwerkskapazität besitzt. Schon heute werden dort mehr Autos gebaut als hier zu Lande. Binnen weniger Jahre wird China darum zum größten Emittenten von Treibhausgasen, noch vor den USA, aufsteigen.

All das klingt bedrohlich – und ist doch im Grundsatz legitim. Chinas Regenten unternehmen nichts anderes als den Versuch, in ihrem Land all das zu erschaffen, was die Wohlstandsländer schon lange ganz selbstverständlich für sich beanspruchen. Auch sie waren und sind bei den angewandten Methoden nicht zimperlich. Dass im globalen System, wie es heute organisiert ist, kein Platz mehr ist für noch einmal eine Milliarde Konsumenten nach europäisch-amerikanischem Vorbild, das ist nicht die Schuld der Chinesen.

Insofern wird der China-Boom unvermeidlich die weltweite Auseinandersetzung darüber erzwingen, wie eigentlich die Weltwirtschaft so organisiert werden kann, dass sie tatsächlich globalisierbar ist und nicht nur einer Minderheit ein Leben im Wohlstand verschafft. Am besten fangen wir mit der Suche nach der Antwort sofort an.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false