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Politik: Die Demokratie frisst ihre Kinder (Kommentar)

Und wieder gescheitert. Auch Polens zweite nationalkonservative Koalition bricht vorzeitig auseinander - wie schon das erste Solidarnosz-Kabinett nach der Wende unter Hanna Suchocka.

Und wieder gescheitert. Auch Polens zweite nationalkonservative Koalition bricht vorzeitig auseinander - wie schon das erste Solidarnosz-Kabinett nach der Wende unter Hanna Suchocka. Und wie damals sind nicht unüberwindliche Aufgaben oder eine mächtige Opposition Ursache des Zerwürfnisses, sondern die internen Spannungen zwischen dem national-klerikalen und dem liberalen Flügel.

In den jüngsten Monaten haben Abgeordnete des größeren Koalitionspartners, der Wahlaktion Solidarnosz (AWS), mehrfach gegen Vorhaben des Finanzministers Leszek Balcerowicz von der liberalen Freiheitsunion (UW) gestimmt, der als Vater des polnischen Wirtschaftswunders gilt. Als Ministerpräsident Buzek zudem Warschau einer komissarischen Direktverwaltung unterstellte - unter Verweis auf die Pattsituation im Stadtrat, aber ohne Rücksprache mit der UW, die den Bürgermeister stellt - war das Maß voll. Gestern zogen die Liberalen ihre Minister zurück.

Ein weiterer Dämpfer für Polens Wunsch, rasch der EU beizutreten. Im Frühjahr hatte die Kommission die Vorbereitungen des mit Abstand größten Kandidaten kritisiert und Warschaus unflexible Verhandlungsführung bemängelt. Und nun treten die Minister ab, die im Westen noch am ehesten Vertrauen in Polens Reformbereitschaft wecken: neben Finanzminister Balcerowicz Außenminister Geremek und Verteidigungsminister Onyszkiewicz. Deren intellektuelle Überlegenheit macht der AWS die nötigen Kompromisse freilich auch nicht leichter.

Die Situation erinnert ein wenig an die letzten Monate der sozialliberalen Regierung Schmidt, in der der Kanzler in zentralen Fragen der Finanz- und Verteidigungspolitik gegen den linken Flügel seiner eigenen Partei regieren musste. In Polen sind es klerikal und national denkende AWS-Kreise, die ideologischen Träumen nachhängen. Sie wollen Polens Bauern und Stahlarbeiter vor der Konkurrenz auf dem Binnenmarkt schützen, lehnen die Übertragung von Souveränitätsrechten an die EU ab und fürchten, Polens Kultur und sein spezieller Katholizismus werde im gemeinsamen Europa untergehen.

Und niemand ist zu sehen, der Regierungsdisziplin durchsetzt. Die AWS ist eben doch nur ein Sammelbecken vielfältiger Strömungen, die allein der Kampf gegen die Linke eint. Die zersprengten Gruppen sammelte der Gewerkschaftler Marian Krzaklewski, Nachfolger Lech Walesas als Volkstribun, für die Parlamentswahl 1997. Doch nach dem Sieg scheute er davor zurück, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Er hoffte, das Präsidentenamt werde ihm dank der konservativen Renaissance automatisch zufallen. Das Gegenteil ist eingetreten: Amtsinhaber Aleksander Kwasniewski aus der ex-kommunistischen Linken kann mit einer sicheren Wiederwahl im Herbst rechnen.

Der AWS muss man zugute halten: Nach dem Wahlsieg hat sie mit den Liberalen die Großreformen gewagt, die die Linke in den vier Jahren zuvor aus Konfliktscheu liegengelassen hatte: Verwaltungsreform, Gesundheitsreform, Rentenreform, dazu die Steuerreform und Vollendung der Privatisierung, die nun zu Zankäpfeln wurden. Und das alles in anderthalb bis zwei Jahren - ein Pensum, das auch westliche Regierungen leicht überfordert hätte. Das ist die Tragik der Helden der Wende: Sie scheitern, weil sie zwar Mut zu den nötigen Reformen haben, sie aber etwas unprofessionell angehen. So frisst auch die demokratische Revolution ihre Kinder.

Nun bleiben drei Auswege. Erstens: Die Koalition rauft sich noch einmal zusammen, wechselt womöglich den Ministerpräsidenten aus und schließt einen neuen Koalitionsvertrag, der die Reformvorhaben verbindlich festschreibt und verhindert, dass die eigenen Abgeordneten gegen Regierungsvorlagen stimmen. Das wäre die beste Lösung.

Zweitens: Die Konservativen regieren mit einem Minderheitskabinett weiter, das jedoch bald scheitert, spätestens am Haushaltsgesetz. Dann sind Neuwahlen fällig, die die Linke klar gewinnt. Diese Variante ist gefährlich für Polens strategische Interessen, den EU-Beitritt, weil sie einen mehrmonatigen Stillstand bei den Reformen mit sich brächte und keine energische Verhandlungsführung erlaubt - in einer psychologisch entscheidenden Phase der Beitrittsgespräche.

Da wäre die dritte Möglichkeit vorzuziehen: der direkte Koalitionswechsel der Liberalen, wie beim Ende der Schmidt-Regierung. Die Freiheitsunion, die aus der Solidarnosz hervorging und es in den elf Jahren seit dem Sturz des Kommunismus abgelehnt hatte, mit den Erben der Gegner von damals zusammenzugehen, ist bereit zum historischen Kompromiss - weil sie nur mit der Linken die Reformen vollenden kann, die unumgänglich sind für Polens EU-Beitritt.

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