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Politik: "Die Deutschen verklären ein Stück weit die Vergangenheit"

Hans Tietmeyer, bis 1999 Präsident der Deutschen Bundesbank, über den Aufstieg der D-Mark zum nationalen Heiligtum

Herr Tietmeyer, warum war die D-Mark so erfolgreich?

Das Entscheidende war, dass Ludwig Erhard sofort nach der Einführung des neuen Geldes die Preise freigegeben und so die bürokratische Steuerung der Wirtschaft beendet hat. Dies war die Geburtsstunde der sozialen Marktwirtschaft. Plötzlich hatten die Bürger wieder eine Währung mit Kaufkraft, die jeder wollte. Das war die Grundlage für das, was später oft Wirtschaftswunder genannt wurde.

Die Mark ist danach zu einer Art Heiligtum der Bundesrepublik aufgestiegen.

Das liegt auch daran, dass die Deutschen zwei extreme Inflationen erleben mussten – 1923 und 1947/48. Das hat sich eingebrannt, viele haben ihre gesamten Ersparnisse verloren. Im Rückblick haben die Deutschen immer die D-Mark als wichtigsten Grund für ihren Wiederaufstieg gesehen. Diese Erfahrungen haben die Währung zum nationalen Symbol gemacht. Hinzu kam das große Vertrauen in die Bundesbank. In Umfragen haben ihr die Bürger immer bescheinigt, der wichtigste Anwalt einer stabilen Währung zu sein.

Es gab auch Zeiten, in denen die starke Mark der deutschen Wirtschaft große Probleme bereitet hat.

Ja, einige Branchen hatten zeitweise Schwierigkeiten mit dem hohen Wechselkurs. Aber wichtiger als der Außenwert war und ist die Binnen-Preisstabilität. Das haben die Deutschen in den sechziger Jahren als Erste erkannt, später hat sich diese Erkenntnis weltweit bei den führenden Notenbanken durchgesetzt.

Welche Phase war für Sie die schwierigste in der Geschichte der Mark?

Schon in den fünfziger Jahren gab es Angriffe auf die Bundesbank und ihre Zinspolitik, sogar von Konrad Adenauer. Später gab es immer wieder Kritik am hohen Außenwert. Zeitweise bestand auch die Gefahr, dass die Inflationsrate wieder stärker steigt, zum Beispiel 1974, nachdem die Gewerkschaft ÖTV eine elfprozentige Lohnerhöhung durchgesetzt hatte. Es war gut, dass die Bundesbank damals ihren stabilitätspolitischen Grundsätzen treu geblieben ist und die Zinsen erhöht hat. Ähnlich war es nach der Wiedervereinigung – der Bundesbank ist damals vorgeworfen worden, die Rezession 1993/94 mit ausgelöst zu haben. Gerade heute wird den Menschen wieder bewusst, wie wichtig stabiles Geld für die Wirtschaft, aber auch für das soziale Miteinander der Menschen ist. Bei starken Preissteigerungen sind die Ärmeren immer die Verlierer.

Hätte es die Wiedervereinigung ohne die D-Mark gegeben?

Die Ostdeutschen wollten teilhaben an der Freiheit und der Marktwirtschaft im Westen. Ohne den Glanz der Mark wäre die Einheit vielleicht nicht so schnell gekommen. 1948 hat die Mark dagegen eine andere Rolle gespielt – ihre Einführung hat die Spaltung Deutschlands in Ost und West deutlich gemacht. Das ist eine tragische Geschichte. Aber die Währungsreform war nicht schuld an der Spaltung.

Wird der Euro je einen so guten Ruf wie die Mark genießen?

Noch immer ist die D-Mark bei den Menschen in der Rückschau beliebt, auch wenn der Euro in den ersten zehn Jahren seines Bestehens schon eine der stabilsten Währungen der Welt geworden ist. Dahinter steckt auch ein Stück weit die Verklärung der Vergangenheit. Aber ebenso die Angst, dass es irgendwann Spannungen in der Währungsunion geben könnte. Hinzu kommt die sogenannte gefühlte Inflation, der vermeintliche Teuro-Effekt, der noch von der Bargeldumstellung im Jahr 2002 herrührt. Er war aber viel geringer als immer angenommen wird, das zeigt die Statistik.

Hat der Wechsel von der Mark zum Euro den Deutschen genutzt?

Auf jeden Fall. Das wird auch so bleiben. Der Schritt war richtig, notwendig und sinnvoll. Die Preise sind vergleichbarer, der Euro kann jetzt breiter genutzt werden, und die deutsche Wirtschaft ist jetzt sicher vor Wechselkursschwankungen im Euro-Gebiet. Das nützt den Exporteuren, die ja einen großen Teil ihrer Produkte in Europa verkaufen. Beim Start der Währungsunion hatten die Nachbarländer zwar einen Vorteil, weil sie durch die einheitliche Geldpolitik plötzlich viel niedrigere Zinsen hatten. Auch deshalb galt Deutschland zeitweise als Wachstumsschlusslicht in Europa. Doch die deutsche Wirtschaft ist dank der Reformen in Politik, Unternehmen und der Tariflandschaft wettbewerbsfähiger geworden. Jetzt ernten wir die Früchte.

Das Gespräch führte Carsten Brönstrup.

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