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Politik: Die Deutschen wollen die NS-Geschichte billig bewältigen (Kommentar)

Die Deutschen wollen nicht mehr als acht Milliarden Mark an die Zwangsarbeiter zahlen. Das sei doch "ein gutes Angebot", sagt der Sprecher der Stiftungsinitative der deutschen Wirtschaft, Wolfgang Gibowski.

Die Deutschen wollen nicht mehr als acht Milliarden Mark an die Zwangsarbeiter zahlen. Das sei doch "ein gutes Angebot", sagt der Sprecher der Stiftungsinitative der deutschen Wirtschaft, Wolfgang Gibowski. Nein, das ist es nicht. Denn auch die Deutschen wissen, dass die Vertreter der Zwangsarbeiter eine zweistellige Milliardensumme wollen - und die Deutschen haben bisher kein einleuchtendes Argument genannt, warum diese Erwartung unbillig ist. Keine Entschädigung, egal wie hoch sie ist, kann mehr als symbolisch sein. Und sie kommt ohnehin 50 Jahre zu spät. Doch die deutsche Seite verweigert sogar diese Geste.

Zur Knauserigkeit gesellt sich nun noch Selbstgerechtigkeit. Kanzler Schröder hat Präsident Clinton signalisiert, dass diese acht Milliarden definitiv das letzte deutsche Angebot sind. Man droht, um die Gegenseite zum Einlenken zu zwingen. Ein befremdlicher, gereizter Tonfall. Schröder, der sich in erinnerungspolitischen Fragen stets aufführt wie die Axt im Walde, und die deutsche Wirtschaft haben bei diesem Thema schlicht kein Recht zu drohen.

Das "American Jewish Comitee" hat gestern eine Liste jener deutschen Firmen veröffentlicht, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben, und nicht zahlen. Diese Liste ist sinnvoll - nicht nur, weil sie die nassforschen Töne von deutscher Seite konterkariert. Denn diese Liste macht Druck an der richtigen Stelle - nicht bei jenen Firmen, die sich an der Stiftungsinitative beteiligen, sondern bei jenen, die sich wortlos aus jeder Verantwortung stehlen. Von der Frage, wie viele Firmen sich an der Stiftung beteiligen, hängt auch die Höhe des deutschen Angebots ab.

Eine der wenigen Lichtblicke auf deutscher Seite ist derzeit Johannes Rau. Er hat angekündigt, mit einem "klaren Wort" die Veranwortung der Deutschen für das unermessliche Leid der Zwangsarbeiter unzweideutig festzuhalten. Das klingt etwas holzschnittartig, Politikersprache halt. Aber man versteht doch, dass diese Frage für Rau keine Pflichtaufgabe ist, sondern eine Herzenssache. Wie der Konflikt zwischen Rau und Schröder ausgeht - das wird einiges über die politische Moral von Rot-Grün verraten.

Alle wissen, dass die letzten Zwangsarbeiter bald sterben werden. Alle wissen, dass die Verhandlungen schon viel zu lange dauern. Die Deutschen können sie beenden, indem sie mindestens zehn Milliarden anbieten. Das wäre, eingedenk der Größe des Verbrechens, ein, wirtschaftlich gesprochen, ziemlicher guter Deal. Doch die Deutschen drohen. Taugt die famose Vergangenheitsbewältigung, auf die die Bundesrepublik so stolz ist, eigentlich nur für Sonntagsreden?

Stefan Reinecke

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