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Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission, bei einer Pressekonferenz nach dem Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs mit Vertretern der östlichen Partner.

© REUTERS/Eric Vidal

Die EU und ihre östlichen Partner: Zu nah an der Überdehnung der Macht

Warum die EU im Umgang mit ihren östlichen Partnern vorsichtiger geworden ist. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Alle reden in Brüssel vom Brexit. Die Verhandlungen über den Exit Großbritanniens aus der Europäischen Union binden viele Kräfte. Aber in einer Mischung aus Trotz und demonstrativem Selbstbewusstsein schaut die EU dennoch über die eigenen Grenzen hinweg und pflegt ihre Kontakte zu Ländern im Osten des politisch miteinander verbundenen Teils Europas. Seit 2009 gibt es dazu sogar ein offizielles Konferenzformat, die „Östliche Partnerschaft“. Ihr gehören die Ukraine, Weißrussland, Moldau, Georgien, Armenien und Aserbeidschan an. Gerade haben Vertreter dieser sechs früheren Sowjetrepubliken in Brüssel mit den EU-Staats- und Regierungschefs getagt.

Anders als im Gründungsjahr dieser Partnerschaft macht die EU aber jetzt deutlich, dass sich kein Land, das enger mit der Union zusammen arbeiten will, zwischen guten Beziehungen zur EU oder zu Russland entscheiden müsse. Außerdem werden nicht mehr Illusionen über die Perspektiven eines schnellen Beitritts geweckt, noch wird gar, wie das 2014 in der ukrainischen Hauptstadt Kiew geschah, demonstrativ westliche Präsenz gezeigt. Jene nassforsche Entweder-oder-Attitüde hatte nicht zuletzt zur Zuspitzung der politischen Lage in der Ukraine beigetragen, das hat die Brüsseler Diplomatie inzwischen erkannt.

Die EU hat erkannt: Sie ist nahe am Zustand des "imperial overstretch"

Von den sechs osteuropäischen Staaten, die jetzt schon von einem Entwicklungsprogramm für freies Unternehmertum und bessere Verkehrsinfrastruktur in Milliardenhöhe profitieren, haben nur drei eine klar proeuropäische Haltung: die Ukraine, Moldau und Georgien. Auch diese drei aber werden durch – von Russland angeheizte – militärische Regionalkonflikte in ihrem Bewegungsspielraum gelähmt. Da zeigt sich Putins Variante von Breschnjews Doktrin der begrenzten Souveränität der Staaten des Ostblocks. Sein Ziel: das Unabhängigkeitsstreben dieser Länder einhegen. In Aserbeidschan, Armenien und Weißrussland ist die Lage einfacher. Diese drei sind Mitglieder der von Moskau dominierten „Eurasischen Wirtschaftsunion“, haben also gegenüber Westeuropa nur begrenzte Bewegungsfreiheit.

Dass beim jetzigen Treffen in Brüssel die EU vor allem auch den ukrainischen Hoffnungen auf schnellere Annäherung einen Dämpfer verpasste, hängt nicht nur, aber doch mit den drückenden Erfahrungen nach der zweiten EU- Osterweiterung um Rumänien und Bulgarien am 1. Januar 2007 zusammen. Diese beiden Länder sind bis heute weit von dem Status entfernt, den die EU für Menschenrechte und korrektes Verwaltungshandeln vorschreibt. Auch in der Ukraine ist weder die Korruption noch die Tendenz der politischen Eliten zur Bereicherung gestoppt.

In Brüssel hat man begriffen, dass Europa schon jetzt nahe an dem Zustand ist, den der britische Historiker Paul Kennedy 1987 als „imperial overstretch“ bezeichnete: die Überdehnung eines Herrschaftsgebietes, das an den Rändern ökonomisch auseinanderdriftet und von der Kapitale weder militärisch noch organisatorisch zu kontrollieren ist.

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