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Politik: Die fetten Jahre sind vorbei

Von Lorenz Maroldt

Am Wochenende hatte sich Angela Merkel mit Schauspielern umgeben, die zur Verleihung des deutschen Filmpreises Lola geladen waren. Unter den nominierten Filmen wählte die Kanzlerkandidatin bei ihrer Ansprache einen aus, dessen Titel, so sagte sie scherzhaft, prima als Motto in die Zeit passe: „Die fetten Jahre sind vorbei“. Tatsächlich: Der LolaAbräumer „Alles auf Zucker“ oder gar der juryverschmähte „Untergang“ hätten die Wahrnehmungswelt der Angela Merkel nicht treffend widergespiegelt. Die fetten Jahre sind vorbei, das klingt weniger nach Leichtsinn oder Pathos; mehr nach Analyse, zu der eine technische Lösung gehört. Wie das Projekt einer Physikerin.

Der Entwurf des Regierungsprogramms der Union, seit dem Wochenende auf 38 Seiten im Umlauf, vermag die konservative Seele kaum zu wärmen; eine geistig-moralische Wende, ein Wertegerüst, ein Koordinatensystem sind allenfalls in Spurenelementen erkennbar. Dafür verspricht die Union, was von der Politik heute kaum noch jemand erwartet: „Sagen, was man tun will, und tun, was man sagt“ (Seite 7). Es steckt ein politisches Dilemma in diesem Satz, wie auch im ganzen Programm. Merkel will so konkret wie möglich sein, aber sie will eben auch gewählt werden. Also: Die Kandidatin weiß wohl, was sie alles sagt; aber sagt sie auch alles, was sie weiß?

In vielen Punkten ist das, was die Union vorlegt, ehrlicher, berechenbarer, geradliniger als die sozialdemokratische Kurvenfahrt. Die Mehrwertsteuer steigt, der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung sinkt. Wer eine neue Arbeit aufnimmt, dem kann künftiger leichter gekündigt werden. Wer nachts arbeitet und an Feiertagen, bekommt netto weniger raus. Es wird auch weniger Einkommenssteuer erhoben. Dafür aber fällt die Eigenheimzulage weg, es gibt weniger Kilometergeld und Abschreibungsmodelle werden gestrichen – auch die für Filmfonds, die fetten Jahre sind eben vorbei.

Aber dann gibt es auch Passagen, die schillern und irritieren. Beste Entwicklungschancen will die Union, die sich ein paar Seiten weiter dem christlichen Menschenbild verpflichtet, vorneweg der Gentechnik geben, ausgerechnet. Da ist die letzte Messe ganz bestimmt nicht gelesen. Im Unternehmerkapitel wird die Abfindungspraxis für Manager verurteilt und eine stärkere Teilhabe der Arbeitnehmer an Gewinnen gefordert. Wie lässt sich das vereinbaren mit der Kritik Merkels am Ackermann-Verfahren, das sie allein deswegen ablehnte, weil es dem Standort schade? Wie mit der Aussicht auf mehr Tarifautonomie?

Vage wird es bei den Sozialreformen. Gesundheit? Keine Zahlen, keine Daten. Pflege? Ebenso. Lebensarbeitszeit? Gleichfalls. Da ist die Union eben doch noch die Summe zweier Parteien und Ebenen, die nicht immer dasselbe wollen. Aber sie haben jetzt ein Programm, ein Versprechen. Es steht gegen das der SPD, in dem manches eher wie ein Versprecher wirkt. Gerhard Schröder hat an diesem Wochenende geholzt, einem Oppositionsführer würdig: Wenn „die Penner von gestern den Aufbruch von morgen gestalten“, sei das „eine Groteske“. Er meinte die Regierung Kohl mit der Ministerin Merkel. Was bedeutet das wohl in Bezug auf seine eigene Regierung?

Merkels Mottofilm, „Die fetten Jahre sind vorbei“, ist eine Hobbyrevoluzzerkomödie. Ein Schlüsselsatz darin lautet: Manche Menschen ändern sich nie. Burghart Klaußner spielt einen wankelmütigen Alt-68er. Er wurde gerade mit einer Lola geehrt – als bester Nebendarsteller.

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