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Politik: "Die Flüchtlingswelle hat uns einfach überrollt"

Waren die internationalen Hilfswerke auf die Flüchtlingskatastrophe im Kosovo genügend vorbereitet?Kosovo, Kosovo, Kosovo, wir reden nur noch vom Kosovo.

Waren die internationalen Hilfswerke auf die Flüchtlingskatastrophe im Kosovo genügend vorbereitet?

Kosovo, Kosovo, Kosovo, wir reden nur noch vom Kosovo. Ich stelle eine fatale Tendenz fest, die großen Tragödien etwa in Afrika wegen des europäischen Krieges zu vergessen. Zu der Frage: Niemand war ausreichend vorbereitet. Wir wurden von der Masse der Flüchtlinge einfach überrollt. Zusätzlich erschwert uns die massive Präsenz von Militärs unsere Arbeit, trotz nützlicher Anfangshilfe. Wenn zu viele Uniformierte in den Camps herumlaufen, entsteht ein Problem der humanitären Glaubwürdigkeit. Leider kamen auch zu viele Nichtregierungsorganisationen in die Krisenregion. Die hatten zwar den guten Willen. Die meisten waren aber nicht ausreichend vorbereitet. Am Anfang litt auch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) unter zuwenig Personal. Natürlich wäre es für alle Hilfsorganisationen viele einfacher, wenn eine Waffenruhe eintreten oder die Feindseligkeiten endlich eingestellt würden.

Das IKRK war die letzte Hilfsorganisation, die den Kosovo nach Beginn der Nato-Luftschläge verließ und die erste, die wieder zurückkam. Hat Milosevic sein Versprechen der Bewegungsfreiheit und seine Sicherheitsgarantien eingehalten?

Wir haben mit den offiziellen Stellen der Jugoslawen keine wesentlichen Probleme. Wir können den Hunderttausenden umherirrenden Menschen im Kosovo so gut es geht helfen. Allerdings gibt es Scherereien mit serbischen Zivilisten und alkoholisierten, außer Kontrolle geratenen Sicherheitskräften der Jugoslawen.

Kann man Milosevic also trauen?

Ich will mich nicht über einen einzelnen Politiker auslassen. Auf dem Balkan haben wir eine besondere Situation. Hier funktioniert die Kommunikation zwischen den politischen und militärischen Führern und ihren Untergebenen nicht immer reibungslos. Grundsätzlich glaube ich, daß Milosevic eine sehr offene Einstellung gegenüber der Arbeit des IKRK hat. Er kennt unsere Institution inzwischen sehr gut.

Ist es das erste Mal, daß sie mit einem der Kriegsverbrechen angeklagten Politiker verhandelt haben?

Als ich Ende April Milosevic in Belgrad besuchte, war er noch nicht angeklagt. Für den Präsidenten des IKRK gibt es keine Hemmungen. Ich spreche und verhandele mit jedem, wenn ich Opfern von Kriegen helfen kann.

Das IKRK ist offiziell neutral. Wie können sie aber bei den grausamen Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung im Kosovo schweigen?

Wir sind tatsächlich neutral. Nicht nur offiziell. Wenn wir alles in der Öffentlichkeit ausbreiten, gefährden wir unsere Arbeit vor Ort. Gefühle dürfen nicht publik gemacht werden. Das ist im Interesse der Opfer. Natürlich handelt es sich um eine schmale Gratwanderung, die immer gefährlicher wird. Wir arbeiten nicht für die Führung eines Staates oder einer Staatengruppe und werden uns niemals verpolitisieren lassen. Eine Tendenz, die bei anderen Hilfswerken immer mehr zu beobachten ist.

Welche Lehren muß Europa aus dem Kosovokrieg ziehen?

Wir brauchen ein Frühwarnsystem. Im Vorfeld müssen politische und ökonomische Konflikte entschärft werden, bevor sie zu Katastrophen mit schrecklichen humanitären Konsequenzen eskalieren.

Wie beurteilen sie das Verhalten der Medien im Kosovokrieg?

Ich wünsche mir, daß die Medien nicht nur über Opfer und die bewaffneten Auseinandersetzungen berichten. Vielmehr müßte auch über die ethischen Prinzipien des humanitären Völkerrechts berichtet werden.

Zentrale Instrumente des humanitären Völkerrechts sind die Genfer Konventionen, nach denen Zivilisten, Kriegsgefangene und Verwundete geschützt werden müssen. Im August begehen sie 50 Jahre Genfer Konventionen. Sind die Konventionen noch das Papier wert auf dem sie geschrieben sind?

Für die Völkergemeinschaft sind die Konventionen ein Vermögen. Die Medien machen Verletzungen der Regeln schneller sichtbar. Aber: Auch nationale Vorschriften werden oft mißachtet. Deshalb kommt ja auch keiner auf die Idee, diese Regeln für überflüssig zu erklären.

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