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Politik: Die Frau, die sich was traut Von Gerd Appenzeller

Erst sah es aus, als stünde der wertebewahrende Flügel der Union geschlossen gegen Ursula von der Leyen. Die Zahl der Krippenplätze bis 2013 auf 750 000 zu erhöhen, hatte sie gefordert.

Erst sah es aus, als stünde der wertebewahrende Flügel der Union geschlossen gegen Ursula von der Leyen. Die Zahl der Krippenplätze bis 2013 auf 750 000 zu erhöhen, hatte sie gefordert. In den Ohren der Hüter des konservativen Tafelsilbers klang das wie: Sie nimmt den Müttern die Kinder weg.

Zwei Tage dauerte es, bis die meisten Ministerpräsidenten merkten, dass das maßlos übertrieben ist und dass auch von einer drohenden Sozialdemokratisierung der christdemokratischen Familienpolitik keine Rede sein muss. Nun kann sich die Ministerin vor verbaler Unterstützung kaum mehr retten. Zwar gibt es weiter auch fundamentale Kritik, aber die meisten Gegner Leyens konzentrieren sich auf vermeintlich Sachliches: Die Familienministerin habe wohl recht, aber der Bund sei überhaupt nicht zuständig. Er solle sich nicht in die Belange der Länder mischen, schließlich habe es gerade eine Föderalismusreform gegeben.

Diese Taktik ist nicht so fein gesponnen, dass man sie nicht durchschauen könnte. Mit dem Argument des fehlenden Geldes lässt man jeden reformerischen Ansatz ins Leere laufen, und die Verzögerung ist bekanntlich die perfideste Form der Verneinung. Wenn ein Politiker ein gesellschaftliches Anliegen wirklich als richtig erkannt hat, muss er überlegen, wie er durch eine Umsteuerung von Mitteln ans Ziel kommen kann. Es ist schon bezeichnend, dass die hinhaltendsten Reaktionen aus den reichsten Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg kommen – und das sind gleichzeitig jene Länder, in denen die Versorgung mit Krippenplätzen besonders schlecht ist. Wer Freunde und Bekannte im Süden und Südwesten hat, weiß genau, dass aus jungen Familien dort die massivsten Klagen über unzureichende Betreuungsmöglichkeiten für kleine Kinder kommen.

Im Wertebewusstsein fühlen sich viele junge Menschen durchaus nahe bei der Union. Aber ihr Familienbild ist moderner und offener, als es manche Exponenten der C-Parteien wahrhaben wollen. Es ist die praktische Erfahrung, die da durchschlägt. Frauen, die studiert haben oder auch ohne Hochschulausbildung in interessanten Bereichen tätig sind, wollen sich nicht durch ein oder zwei Kinder vorübergehend aus dem Berufsleben vertreiben lassen. Das dürfen sie auch nicht, denn in kaum einem Sektor der Arbeitswelt kann man heute noch nach drei Jahren problemlos wieder einsteigen. Wer Familie hat, erwirbt zudem soziale Kompetenzen, die wiederum im Berufsleben dringend gefragt sind.

Und noch etwas macht Ursula von der Leyens Ruf nach mehr Krippenplätzen im Anschluss an die mit dem Elterngeld finanzierte Auszeit so richtig: Viele Frauen wollen bald nach der Geburt eines Kindes wieder arbeiten, weil es einfach nicht anders geht. Die Zeiten sind vorbei, in denen Eltern darauf vertrauen durften, dass der Mann alleine über einen langen Zeitraum hinweg das Familieneinkommen garantieren könne. Wenn aber Mutter und Vater berufstätig sind, ist die Chance relativ gut, dass nicht beide gleichzeitig arbeitslos werden.

Was Ursula von der Leyen jetzt erlebt, ist in der CDU/CSU kein neues Phänomen. Heiner Geißler und Rita Süssmuth machten als engagierte Familienminister Ähnliches durch. Und Ursula Lehr zog sich den geballten Zorn der Unionsfraktion zu, als sie Kinderbetreuung für unter Dreijährige forderte. Das war 1989.

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