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Politik: Die Frau hinter der Mauer

Wenn eine herausragende Journalistin ein Buch über eine herausragende Politikerin schreibt, dann kann das eigentlich nur schiefgehen. Ist es aber nicht.

Wenn eine herausragende Journalistin ein Buch über eine herausragende Politikerin schreibt, dann kann das eigentlich nur schiefgehen. Ist es aber nicht. Evelyn Rolls "Das Mädchen und die Macht - Angela Merkels demokratischer Aufbruch" ist ein schönes Buch.

Evelyn Roll ist Reporterin bei der "Süddeutschen Zeitung", sie schreibt lebendig, kunstvoll, stilistisch brillant. Die Fahrt der Autorin an den Ursprung von Angela Merkels Biografie, nach Templin, ist beispielsweise ein echtes Kleinod, eine glänzende Reportage. Man fühlt da zuweilen mehr Merkel durch, als wenn man der Politikerin live gegenübersitzt. Auch jene Zeit, als die heutige Parteichefin noch ruhig vor sich hin arbeitend hinter der Mauer saß, als wolle sie Kraft sammeln, wird in ihrer Langsamkeit, auch in ihrer repressiven Geborgenheit eindringlich geschildert. Rolls Reisen in Angela Merkels Vergangenheit sind auch die einer eingefleischten Westlerin in den Osten, dabei aber ehrlich neugierig und ohne jeden ethnologischen Hochmut.

Der Nachteil dieser schönen Schreibe für das Buch ist: Es wirkt wie eine nicht enden wollende Reportage. Noch ein Detailchen, noch ein Schlenker, und alles, was die Autorin sieht, muss auch irgendetwas bedeuten. Die Hautbeschaffenheit im Gesicht des Lehrers, die Seitenzahl der Stelle im Buch eines Parteifreundes, in der er etwas über Kohl schreibt... Vielleicht deutet sich hier, durch die Überlänge verstärkt, die Krise einer bestimmten Art von Reportage an: Möglicherweise ist das allzu Kunstvoll-Gefällige, das Sprach- und Blickverliebte ein Produkt der 90er Jahre. Mehr Analyse, mehr Schärfe, mehr Relevanz, mehr Fakten - so dürfte sich der Reportage-Stil wohl weiterentwickeln.

Zu viel vom Schönen also, was dann irgendwann ermüdend wirkt, besonders wenn man zu spüren beginnt, dass die Autorin sich den zentralen, schmerzhaften Fragen im politischen Leben von Angela Merkel ebenfalls nur spazieren gehend nähert: Von welcher Art ist ihr Machtwille? Was war ihre Rolle beim Sturz von Wolfgang Schäuble? Hier gibt sich Roll damit zufrieden, dass es verschiedene Versionen gibt. Und mit dieser Ableitung: "Wer Angela Merkel in den entscheidenden Tagen beobachtet hat, wer gehört hat, wie sie wütete, dass es Kohl nicht gelingen dürfe, die Hierarchie der Fehler umzudrehen", der könne nicht glauben, dass Merkel ihren Vorsitzenden Schäuble irgendwann fallen gelassen hat.

Wer sie damals beobachtet hat, konnte auch anderes sehen und hören. Wahrscheinlich ist es zu früh, um herausfinden zu können, was wirklich geschah; als die Spendenaffäre begann, ihre Kinder, die Aufklärer in der Union, zu fressen. Wahrscheinlich ist die Zeit noch nicht gekommen, um zu beurteilen, ob Angela Merkels Härte und Kälte in Machtsituationen die anderer politischer Alpha-Tiere übersteigt. Man sollte ihr aber auch nicht zu früh zu viel glauben.

Ohnehin hilft Evelyn Rolls ostentative Frauensolidarität mit Angela Merkel dem Buch mitunter wenig. Natürlich ist es wahr, dass ein erheblicher Teil der Schwierigkeiten, die sie als Parteivorsitzende hat, auf den Macho-Charakter der Union zurückzuführen ist. Selbstverständlich wird auf Angela Merkels Kreis der engsten Mitarbeiterinnen, auf das "Girlscamp", anders geschaut als auf die vielen Bubenzeltlager ihrer Parteifreunde. Doch da hört es eben nicht auf - da fangen die Fragen erst an.

Macht das Girlscamp seinen Job richtig oder schottet es sich tatsächlich ab? Und wenn Angela Merkel der Union keine männliche Schweißgemeinschaft bieten kann und will, welche Heimat bietet sie ihr dann: eine geistige? Eine moralische? Es wäre eine zwar bittere, aber doch auch romantische Vorstellung, wenn Merkels mögliches Scheitern als Vorsitzende vorwiegend auf den verbreiteten Volkspartei-Machismo der CDU zurückzuführen wäre. Doch geht die Krise des Konservatismus in Deutschland vermutlich viel tiefer. Wovon Evelyn Rolls Buch allerdings leider nicht spricht.

Es ist schwer, eine Biografie über jemanden zu schreiben, der noch relativ jung, dessen Leben noch so im Fluss ist. Gerade bei Angela Merkel, die sich bei aller gebotenen PR sorgsam verborgen hält, wird sich vieles erst richtig lesen lassen, wenn man das Ende ihrer politischen Karriere kennt. Schon in den wenigen Wochen, seitdem Evelyn Roll geschrieben hat, hat sich vieles geändert. Die Welt wegen des 11. September. Und Angela Merkel wegen des unverschämten Verhaltens der CSU bei ihrer Rede vor kurzem in Nürnberg. Neuerdings hat Merkel einen neuen Grad an sardonischer Heiterkeit erreicht, der Respekt abnötigt. Es ist so eine Art messerscharfe Leichtigkeit, die nach der Bitterkeit kommt. Vielleicht auch nach der Niederlage.

Die Biografie ist zu Ende, das Leben geht weiter, der Winter kommt. Eine gute Gelegenheit, Rolls Buch am Kamin zu lesen. Man liest es gern, Angela Merkel hat es auch getan. Ein schönes Buch, wie gesagt, nur vielleicht kein gutes.

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