zum Hauptinhalt

Politik: Die Frau im Vordergrund

Kiew - Wie ein gefeierter Rockstar hat die kleine Frau ihr Publikum in der Hand. „Seid ihr mit uns?

Kiew - Wie ein gefeierter Rockstar hat die kleine Frau ihr Publikum in der Hand. „Seid ihr mit uns?“, ruft Julia Timoschenko von der Bühne den Menschenmassen mit den orangefarbenen Fahnen zu. „Ja!“, schallt es über den Kiewer Unabhängigkeitsplatz. „Lasst ihr den Wahlbetrug zu?“ „Nein!“ Ihren geflochtenen Haarzopf hat sie wie einen Heiligenschein um das Haupt gewunden. Kein anderer Oppositionspolitiker weiß die Menge so zu fesseln wie die Wirtschaftswissenschaftlerin aus dem ostukrainischen Dnjepropetrowsk.

Gemeinsam mit Oppositionschef Viktor Juschtschenko saß Timoschenko einst auf der Regierungsbank. Doch ähnlich wie der frühere Premier wurde sie von Präsident Kutschma 2001 aus dem Amt getrieben. Im Wahlkampf machte die 44-Jährige auf Großkundgebungen nun Stimmung für den durch eine mysteriöse Erkrankung geschwächten Juschtschenko.

Dass die Oppositionspolitikerin wie keine zweite mit ihren Anklagen gegen die Oligarchen die Massen bewegen kann, hat einen guten Grund. Deren Machenschaften sind ihr wohlbekannt: Als „Gasprinzessin“ von Dnjepropetrowsk hatte sie in den 90er Jahren noch selbst kräftig mitgemauschelt. 1995 war die Managerin an die Spitze der „Vereinigten Energiesysteme der Ukraine“ gelangt, hatte das Konsortium, bei dem auch ihr Mann und ihr Schwiegervater beschäftigt waren, bis 1997 geleitet. Zwei Jahre später ernannte Juschtschenko sie zur Energieministerin. Timoschenko sollte zum Quälgeist ihrer einstigen Geschäftspartner werden. Resolut mühte sie sich, die Korruption im Energiesektor zu bekämpfen. Feinde fürs Leben verschaffte sie sich nicht nur in Dnjepropetrowsk, wo sich der mit Kutschma auch familär versippte Oligarchen-Clan angegriffen fühlte. Die Oligarchen waren es, die die Staatsanwaltschaft 2001 mit politisch motivierten Ermittlungen auf die geschasste Ministerin ansetzten. Wie sie landeten auch ihr Mann und ihr Schwiegervater zeitweilig hinter Gittern. Doch der Kurzaufenthalt im Gefängnis verlieh ihr nur die Aura einer Märtyrerin.

Zum Wahlkampfauftakt mühte sich ausgerechnet die Justiz in Russland, Timoschenko mit Ermittlungen wegen vermeintlicher Schmiergeldzahlungen aus dem Verkehr zu ziehen. Doch auch dies kam anders als geplant. Nun fordert Timoschenko fast täglich ihre Landsleute zum Durchhalten auf: „Sie haben Angst – und sind in der Defensive!“

Thomas Roser

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false