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Politik: Die Freiheit, die sie meinen

Die schärferen Pressegesetze sind kaum fertig, da ermitteln Moskauer Ankläger schon gegen kritische Redakteure

Moskau macht Ernst. Nach dem Geiseldrama im Musicaltheater hat es die Presse in Russland noch schwerer als zuvor. Nachdem Mitarbeiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB in der Redaktion der Wochenzeitung „Versija“ (Version) mehrere Computer-Festplatten beschlagnahmt hatten, eröffnete die Staatsanwaltschaft am Samstag ein Verfahren wegen Geheimnisverrats.

Ist dies schon ein Vorgeschmack davon, wie die Behörden die neuen, schärferen Pressegesetze vollziehen wollen? Offiziell wird den Journalisten ein Artikel zur Last gelegt, in dem das Blatt über den Bau von Wohnhäusern an Standorten berichtete, wo sich früher geheime militärische Objekte befanden. Aber vor allem hatte das Blatt minutiös zum Geiseldrama recherchiert. Vier Zeitungsseiten der für Montag geplanten Ausgabe sind dem jüngsten Geiseldrama gewidmet und stellen die offizielle Version in entscheidenden Punkten in Frage. Die „Versija“-Journalisten hatten Tagen Hunderte von Augenzeugen des jüngsten Geiseldramas in Moskau, darunter auch Kämpfer der am Sturm beteiligten Eliteeinheiten und Ärzte, befragt und die Entwicklungen rekonstruiert. Schon vor zwei Jahren , als das Blatt seine Ermittlungen zum Untergang der „Kursk“ veröffentlichte, wurde die Redaktion durchsucht.

Die Aktion geschah nur wenige Stunden, nachdem die Duma Änderungen von Pressegesetzen verabschiedet hatte, mit denen die Berichterstattung zu Anti-Terror-Aktionen erheblich eingeschränkt werden. Die Bestimmungen seien so schwammig verfasst, warnten Gegner der Novelle im Vorfeld der Abstimmung, dass künftig alles, was mit Armee, Polizei und Geheimdiensten zu tun hat, als Terroristenbekämpfung dargestellt und damit der Öffentlichkeit vorenthalten werden könne – angefangen beim Tschetschenienkrieg. Dass der Trend in genau diese Richtung geht, macht der neue Artikel vier des Pressegesetzes deutlich, der den Verrat von „Staats- und anderen durch Gesetze geschützten Geheimnissen“ mit harten Strafen bis hin zum Entzug von Druck- oder Sendelizenz ahndet. Einen unmittelbaren Bezug der Durchsuchung zu den neuen Gesetzen gibt es dennoch nicht: Der „Versija“-Artikel, der offiziell den Zorn der Staatsschützer erregte, erschien bereits Ende Mai, und die neuen Gesetze müssen noch durch den Senat und treten erst mit Putins Unterschrift in Kraft.

Offenbar jedoch legen die Behörden jetzt schon Wert auf Prävention: Wie Interfax meldete, wurden bei der Durchsuchung auch der Server beschlagnahmt, der für die Online-Ausgabe nötig ist. Gleichwohl kamen die Behörden zu spät, denn die neue Nummer sei bereits im Andruck gewesen, sagt der Chefredakteur, und werde ausgeliefert. Gefährdet sei die nächste Ausgabe, in der die Journalisten nachlegen wollten. Jetzt soll der Redakteur, der die Berichterstattung zur Geiselnahme koordiniert hatte, von Geheimdienstmitarbeitern vernommen werden. Am Montag soll er seine Aussage machen.

Eine Woche nach der gewaltsamen Geiselbefreiung im Musicaltheater wurden am Samstag noch immer 155 Menschen in Krankenhäusern der russischen Hauptstadt behandelt. Sieben Menschen schwebten weiterhin in Lebensgefahr. Nach einem Bericht des „Spiegel“ kamen Anfang Oktober zwei Deutsche, die in Tschetschenien auf Seiten der Rebellen gegen die russische Armee kämpften, ums Leben. Es handelte sich um einen gebürtigen Tunesier und einen türkischstämmigen Deutschen.

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