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Politik: Die Freiheit, souverän zu sein

Von Christoph von Marschall Deutschland ist hinter Amerika weit zurück. Und Deutschland ist Amerika weit voraus.

Von Christoph von Marschall

Deutschland ist hinter Amerika weit zurück. Und Deutschland ist Amerika weit voraus. Es hat weder Anlass, sich als moralisch überlegen aufzuführen, noch steht es unter dem Zwang, sich anzubiedern. Es könnte, es dürfte ein selbstbewusster, ein freundlicher, ja, ein unverkrampfter Gastgeber sein. Damit tut sich Deutschland auch zwölf Jahre nach der Souveränität noch schwer.

Man merkt es an der Debatte, ob Deutsche gegen George W. Bush protestieren dürfen, und, wenn ja, wo und wie. Oder an den pädagogischen Ermahnungen, die Dankbarkeit für Befreiung, Demokratie, Marshall-Plan und Schutzmacht- Rolle jetzt gebührend zu zeigen, immer wieder, immer noch. Man würde sich ein wenig mehr amerikanische Lässigkeit wünschen – gerade jetzt, da die Republik vom amerikanischsten Kanzler regiert wird, den sie je hatte.

US-kritische Demonstrationen sind nicht peinlich. „Freedom of Speech“ zählt zu den wichtigsten Werten, die Amerika den Deutschen gebracht hat. Und hat das geteilte Berlin nicht mächtige Proteste gegen Washington überlebt? Da muss man einige Zehntausend Demonstranten in der freien Stadt nicht überbewerten. Peinlich ist nur jede Übertreibung: blinder Antiamerikanismus, ideologische Überheblichkeit, Krawallsucht. Auf der anderen Seite devote Unterordnung, Liebedienerei, Gefallsucht. Vor Freunden macht man keinen Bückling. Und das wirkt auch nicht souverän: an den 19 Stunden, die der Präsident Berlin besucht, abzulesen, dass Deutschland weniger wichtig sei als Russland, Italien, Frankreich. Was sollen da die Briten sagen, die angeblich engsten Alliierten? Die besucht Bush gar nicht.

Selbstbewusstsein zeigt sich darin, offen mit eigenen Stärken und Schwächen umzugehen. Fünf gute Gründe, Bushs Politik nicht gut zu finden: seine Skepsis gegen multilaterale Konfliktlösungen; die Absage an den Internationalen Strafgerichtshof; der Widerstand gegen effektiven Klimaschutz; seine viel zu lange Passivität im Nahen Osten; sein neuer ökonomischer Protektionismus. Da lohnte sich Protest, denn auf diesen Gebieten hat Deutschland, hat Europa weiter gedacht und eine bessere Politik anzubieten. Der alte Kontinent ist der neuen Welt voraus bei der sozialen Gerechtigkeit. Und bei der Nachbereitung von Kriegen und dem Aufbau ziviler Gesellschaften, etwa in Bosnien und Kosovo.

Amerika wiederum versteht es besser, die Wirtschaft anzukurbeln und mehr Menschen Arbeit anzubieten. Es hat den Mut, radikale Reformen auszuprobieren, es hat die Kraft und den Optimismus für eine „trial and error“-Politik, während in Deutschland die Status-quo-Lobby und die Bedenkenträger die Oberhand behalten. Die USA zeigen, wie man sich schnell und effizient gegen neue Bedrohungen schützt. Und als einzige sind sie in der Lage, weltweit Militär einzusetzen: nicht nur zum eigenen Schutz, sondern auch zum Schutz ihrer Verbündeten. Da lohnt sich auch die Anerkennung.

Unter Freunden darf man Zweifel haben, sie auch laut äußern, ob die Raketenabwehr oder ein Feldzug zum Sturz Saddam Husseins die Welt sicherer machen oder nur neue, größere Gefahren heraufbeschwören. Nur, wer das tut, muss schon sagen können, wie er sich einen verlässlichen Schutz vor Atomraketen in der Hand von Schurkenstaaten vorstellt oder gegen einen Diktator vom Schlage Saddams. Gefahren schafft man nicht aus der Welt, indem man sie ignoriert. Oder, ersatzweise, Bush zum Sündenbock macht.

Aber das wiedervereinte Land ist ja noch nicht einmal volle zwölf Jahre souverän. Wir müssen eben noch ein bisschen üben. Let’s try harder.

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