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Politik: Die Freunde gehen

Wahlanalysen: Allein in Niedersachsen wanderten 300 000 Wähler direkt von der SPD zur Union

Es war eine Bundeswahl, die am Sonntag in Hessen und Niedersachsen stattfand, eine Abstimmung über rot-grüne Politik in Berlin mit massiven Wählerbewegungen, wie sie selten zuvor gemessen wurden – und das Ergebnis ist auch mit kapitalen Fehlern der SPD in der Wahlkampfführung zu erklären. Das ist der Tenor der Wahlanalysen der Forschungsgruppe Wahlen (FGW), von Infratest dimap und von Forsa am Tag danach. Laut Infratest hat am Sonntag eine Nachwahl zum 22. September vorigen Jahres stattgefunden, bei der über eine Bundesregierung geurteilt wurde, die „unter Bewährung“ stand. Diese Bewährung hat Rot-Grün nicht bestanden, so die Forscher. 63 Prozent der einstigen SPD-Wähler gaben an, wegen der Bundespolitik dieses Mal für die CDU gestimmt zu haben. Die FGW-Forscher sehen ein „historisches Debakel“ der SPD, Forsa sieht die Sozialdemokraten am Tiefpunkt ihrer Mobilisierungsfähigkeit. Der Wählerschwund gegenüber der Bundestagswahl lag demnach in beiden Ländern bei über 40 Prozent. In Hessen wanderten 560 000 Wähler von der SPD zu anderen Parteien oder zur Nichtwählerschaft, in Niedersachsen fast eine Million.

Nicht nur die Enttäuschung über Rot-Grün in Berlin und das Vorpreschen der CDU auf allen wichtigen Politikfeldern hat nach den Analysen der Wahlforscher die verheerenden Stimmenverluste begründet, sondern auch eine falsche Themensetzung im SPD-Wahlkampf und – zumindest in Niedersachsen – Fehler des SPD-Spitzenkandidaten. Laut FGW spielte die von Bundeskanzler Gerhard Schröder in den Wahlkampf eingebrachte Irak-Frage so gut wie keine Rolle, brachte also keine Mobilisierung. „Eine bereits ausgespielte Karte sticht offensichtlich beim zweiten Mal nicht mehr“, resümiert Infratest dimap.

SPD-Ministerpräsident Sigmar Gabriel schaffte es in Niedersachsen zudem, seinen klaren Vorsprung vor dem CDU-Herausforderer Christian Wulff aus dem Vorjahr, der noch bis Anfang Januar knapp hielt, in den letzten Wochen des Wahlkampfs zu verspielen. Gabriels Versuch, sich gegen Berlin und Schröder zu profilieren, sei „letztendlich nicht erfolgreich“ gewesen, meint Infratest. Die Forschungsgruppe findet: „Offensichtlich hat Gabriel die Verschärfung der Tonlage im Wahlkampfendspurt eher geschadet als genutzt.“ Noch deutlicher urteilt Forsa: Gabriels Versuch, sich gegen Rot-Grün und Schröder zu profilieren, „musste scheitern, weil Schröders Sympathiewerte in Niedersachsen immer noch über denen von Gabriel liegen“. Handwerkliche Fehler im Wahlkampf hätten die Irritation der SPD-Anhänger noch verstärkt.

Der massive Umschwung wird auch darin deutlich, dass die CDU erstmals in allen sozialen Gruppen und Altersschichten vorne liegt – mit der einzigen Ausnahme der Gewerkschaftsmitglieder, die noch zu etwa 50 Prozent zur SPD halten. Aber auch hier gab es Verluste, laut FGW in Niedersachsen mit einem Minus von 21 Prozentpunkten und in Hessen mit einem Minus von 12 Punkten. Bei arbeitslosen Wählern liegt nach den Infratest-Zahlen die CDU vorn. Bei den Selbstständigen, die nun auch die SPD stärker fördern will, kommen CDU und FDP zusammen auf über 70 Prozent. Frauen neigen Rot-Grün stärker zu als Männer; aber auch beim weiblichen Geschlecht haben CDU und FDP die klare Mehrheit.

Die Freien Demokraten haben sich wieder gefangen. Für die FGW hat das mit der Rückkehr zur „klassischen Strategie einer klaren Koalitionsaussage“ und der Zweitstimmenkampagne in beiden Ländern zu tun. Möllemanns Eskapaden scheinen nicht nachzuwirken, Forsa sieht eine Renaissance der Partei. Das Institut verweist darauf, dass die Grünen nun auch wieder Zulauf bei den Jüngeren hätten. „Damit sind sie vorerst der Gefahr entronnen, eine Ein-Generationen-Partei zu bleiben.“ Aber selbst bei den Studenten liegt die CDU insgesamt vorn.

In Niedersachsen brachte eine beispiellose Wählerverlagerung der CDU den Sieg. Hier wanderten laut Infratest etwa 300 000 Wähler direkt von der SPD zur Union. In Hessen gingen ehemalige SPD-Wähler in etwas höherem Maße auch zu den Grünen und zur FDP. Aber auch hier profitierte vor allem die CDU vom SPD-Debakel. Der Wechsel von der SPD zur CDU wurde laut Infratest zumeist mit der Wirtschaftspolitik begründet (etwa 55 Prozent), danach kamen Steuer- und Abgabenpolitik (41 Prozent) und Arbeitsmarktpolitik (37 Prozent).

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