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Politik: Die Front bröckelt

Das Kölner Urteil gegen die Wehrpflicht werten auch Experten der SPD als ein Signal

Von Robert Birnbaum

Die Lage ist nicht wirklich neu, die Tonlage aber schon. Gernot Erler zum Beispiel ist bisher nicht als einer von denen in der SPD aufgefallen, die einer Abschaffung der Wehrpflicht das Wort reden. Aber nach dem Urteil des Kölner Verwaltungsgerichts vom Mittwoch, das die geltende Einberufungspraxis zum Bund schlicht für einen Verstoß gegen die Wehrgerechtigkeit hält, klingt der SPD-Fraktionsvize vorsichtiger als je zuvor. „Natürlich“, sagt Erler dem RBB, natürlich werde sich die SPD-Arbeitsgruppe, die ab Ende des Monats einen Parteitagsbeschluss zum Thema Wehrpflicht vorbereiten will, eingehend mit dem Kölner Urteil befassen. Und natürlich müsse man sich fragen, „ob es tatsächlich so ist, dass nach der jetzigen Praxis die Wehrpflicht nicht aufrechtzuerhalten ist“. Auch der SPD-Verteidigungssprecher Rainer Arnold, ebenfalls bisher nicht als Wehrpflichtskeptiker aufgefallen, spricht von dem Urteil als einem „Winkzeig“.

Der neue Ton hängt keineswegs nur mit juristischen Erwägungen zusammen. Erler spricht offen aus, dass auch innerhalb der SPD die Zahl derer langsam, aber stetig wächst, die in der Verteidigung der Wehrpflicht keinen rechten Sinn mehr sehen. Der grüne Koalitionspartner ist ohnehin schon traditionell gegen den Pflichtdienst an der Waffe, SPD-Jugend und SPD-Linke dabei seit Jahrzehnten an ihrer Seite wissend – bis hin übrigens zu der Frau, die gegen die Einwände des Kölner Gerichts Abhilfe schaffen soll. Renate Schmidts Familienministerium nämlich ist – wegen der Folgen für den Zivildienst – für die Neufassung des Wehrdienstgesetzes zuständig, mit der die seit Juli 2003 geltenden Richtlinien für die Einberufung von der Verordnung zum Gesetz erhoben werden sollen. Der Kabinettsentwurf liegt gerade beim Bundesrat, Mitte Juni soll der Bundestag sich erstmals damit befassen, ab 2005 soll im Gesetzblatt stehen, dass Verheiratete, über 23-Jährige und „T3“-Gemusterte nicht mehr eingezogen werden. Damit hätte sich die zentrale formale Begründung erledigt, mit der die Kölner Richter die Wehrgerechtigkeit in Frage gestellt sehen: Für die neuen Kriterien, so nämlich das Urteil, fehle die gesetzliche Grundlage. Die gäbe es ab dann.

Juristisch ist das Kölner Urteil für die Verteidiger der Wehrpflicht wohl auch deshalb kein Problem, weil das höchste deutsche Gericht, das Bundesverfassungsgericht, die Entscheidung für oder gegen die Wehrpflicht stets sehr energisch als „grundlegende staatspolitische Entscheidung“ in die Hand der Politik gelegt hat.

Politisch allerdings könnten die Argumente der Kölner Richter noch Wirkung entfalten: Inzwischen werde nur noch weniger als die Hälfte der in Frage kommenden jungen Männer eingezogen, und das verstoße gegen das Willkürverbot. Die Verteidiger der Wehrpflicht sehen das anders. Sie rechnen vor, dass der nicht zum Dienst herangezogene „Ausschöpfungsrest“ auf absehbare Zeit bei etwa zehn Prozent liege. Und sie argumentieren, die Armee müsse sich die Geeigneten aussuchen können. Gegner der Wehrpflicht halten das für vorgeschoben. Minister Peter Strucks (SPD) Erlass definiere „Eignung“ gerade so, dass die Zahlen am Ende stimmten. „Wehrpflichtlotterie“, nennt Juso-Chef Nils Annen das.

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