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Politik: „Die Gefahr der Ghettoisierung wird größer“

Die CDU-Politikerin Rita Süssmuth kritisiert Stimmungsmache gegen Zuwanderer – aus der eigenen Partei

Roland Koch hat vor vier Jahren mit einer Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft eine Landtagswahl in Hessen gewonnen. Versucht der CDUPolitiker nun mit seiner Kritik an einem neuen Zuwanderungsgesetz etwas Ähnliches?

Das hoffe ich nicht. Aber es geht nicht darum, dass das Thema nicht diskutiert werden darf. Ich mahne an, dass die Bevölkerung sachlich über Vor- und Nachteile der alten und neuen Regelungen aufgeklärt wird.

Der CSU-Politiker Norbert Geis hat eine Unterschriftenaktion gegen das Zuwanderungsgesetz nach Vorbild der CDU-Kampagne vor vier Jahren in Hessen gegen die doppelte Staatsbürgerschaft vorgeschlagen…

…aber erfreulich ist, dass gerade aus der Führung der Union dieser Vorschlag mit Verwunderung aufgenommen wurde.

Ist denn das neue Zuwanderungsgesetz besser als die bisherige Regelung?

Es ist erheblich besser als der bestehende Rahmen. Ich will das an drei Punkten begründen: Es wird den Menschen fast eingehämmert, das neue Zuwanderungsgesetz erhöhe die Zuwanderung in unsere Sozialsysteme. Dabei ist es genau umgekehrt. Dieser Vorwurf trifft auf die alten Regelungen zu, mit den bestehenden Arbeitsverboten und fehlenden Zuwanderungsregelungen. Zweitens: Viele Zuwanderer kommen heute nur über Ausnahmeregelungen, weil seit 1973 grundsätzlich ein Anwerbestopp gilt. Dabei kommt etwa das Gesundheitssystem ohne ausländische Arbeitnehmer praktisch nicht aus, und in der Gastronomie sieht es ähnlich aus. Diese Anwerbungen würden mit der Gesetzesnovelle eine geregelte Basis bekommen. Drittens: Festgelegt wird durch das neue Gesetz, dass nur dann ein Zuwanderer einen Arbeitsplatz erhält, wenn kein Deutscher für diese Arbeit zur Verfügung steht.

Das heißt, die Kritiker des Zuwanderungsgesetzes informieren die Bevölkerung falsch und lückenhaft?

Es besteht gegenwärtig die Gefahr der Desinformation, so dass nicht der Realitätssinn der Menschen zunimmt, sondern deren Ängste wachsen.

Schüren nicht gerade Unionspolitiker Ängste vor einem neuen Ansturm von Einwanderern?

Ich kritisiere einen solchen unverantwortlichen Umgang mit dem Thema. Er widerspricht allen Daten und Fakten. Je länger wir warten mit einer umfassenden Integration der bei uns lebenden ausländischen Menschen, desto größer wird die Gefahr der Abspaltung von Bevölkerungsgruppen, der Ghettoisierung. Also ist es höchste Zeit, die Eingliederung nicht nur über Sprachkurse, sondern auch über Ausbildung und Integration in das Arbeitsleben zu betreiben. Dafür schafft das neue Gesetz die Grundlagen. Wir müssen deutlich machen, dass diejenigen, die zu uns gekommen sind, unseren Wohlstand mit befördert haben. Je geringer die Akzeptanz von Zuwanderern ist, umso größer ist die Gefahr der Spaltung der Gesellschaft.

Verstehen Sie denn die Kritik, nach der die Integration in der vorliegenden Novelle unzureichend geregelt ist?

Tatsächlich brauchen wir mehr Mittel zur Integration der länger hier lebenden Ausländer. Wenn wir dort mit Bund, Ländern und Kommunen weitere Verbesserungen bei der Neueinbringung erreichen können, wäre das nur von Vorteil. Ich will allerdings betonen, dass zwei Drittel der hier lebenden Ausländer sehr gut integriert sind. Über die reden wir kaum.

Wird zu viel über eine Zuwanderung nach Kosten-Nutzen-Kalkül diskutiert?

Es ist völlig legitim, wenn Länder ihre Interessen klar benennen. Aber: Menschen, die wir brauchen, und Menschen, die uns brauchen, dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Darin waren wir uns schon in der Zuwanderungskommission einig. Wir dürfen die humanitären Standards auf Grund der Genfer Flüchtlingskonvention und unserer eigenen Gesetzgebung nicht weiter reduzieren. Etwa beim umstrittenen Thema geschlechtsspezifische Verfolgung geht es doch nicht um Wirtschaftsflüchtlinge, sondern um Menschen, die an Leib und Leben bedroht sind.

Nun fordern führende Unionspolitiker, Rot-Grün werde sich zu einem Kompromiss bewegen müssen. Wo sehen Sie überhaupt Spielraum?

Ich sehe Möglichkeiten beim wichtigen Teil der Integration. Das gilt auch für den Arbeitsplatz-Nachweis bei anzuwerbenden qualifizierten Fachkräften. Wichtig ist jedenfalls, dass sich alle noch einmal zu konstruktiven Gesprächen zusammensetzen. Jedenfalls sehe ich eine große Gefahr für unser Land, wenn keine Regelungen zu Stande kommen.

Das Gespräch führte Matthias Meisner.

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