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Politik: Die geheime Macht des Präsidenten

Was darf der Bundespräsident, was darf er nicht? Worin liegen seine Aufgaben? Er darf wenig allein entscheiden, wird nicht vom Volk gewählt. Und doch verfügt er über eine geheime Macht.

40 Jahre alt muss er sein – sonst hat das Grundgesetz den Rahmen für das Amt des Bundespräsidenten und die Spielräume längst nicht so eng definiert, wie oft behauptet wird. Für jeden Amtsinhaber ist das Chance und Fluch zugleich: Die Grauzone seiner Machtentfaltung kann riesig sein, aber auch mikroskopisch klein. Richard von Weizsäcker hat am 8. Mai 1985 gezeigt, wie wichtig die Rede sein kann; bei Heinrich Lübke erinnert man sich vor allem an seine Haspler.

Der erste Mann im Staate kann weder Notverordnungen erlassen noch den Kanzler aus eigenem Ermessen benennen, er wird nicht vom Volk gewählt und ist nicht Oberbefehlshaber der Armee – wie einst der Reichspräsident. Staatsrechtler, zwei davon selbst Präsidenten, sprechen von „geheimer Macht“, und die erschließt sich überwiegend aus der Autorität des Amtsinhabers. Bei manchen Präsidenten war sie gering, bei manchen aus historischer Perspektive geradezu übermächtig.

Frei schalten und walten kann er nicht

Ein paar wenige konkrete Aufgaben weist ihm das Grundgesetz zu: die völkerrechtliche Vertretung des Bundes, die Ernennung und Entlassung von Ministern, Bundesrichtern, Bundesbeamten und Offizieren, das Ausfertigen und Verkündigen von Gesetzen. All diese Aufgaben sind freilich „staatsnotariell“, frei schalten und walten kann er nicht, das kann er nur im Begnadigungsrecht und bei einigen Ordensangelegenheiten. Unterschätzt werden seine außenpolitischen Befugnisse. „Der Bundespräsident vertritt den Bund völkerrechtlich“, heißt es in Artikel 59 des Grundgesetz.

Er hat damit gewichtige Mitsprache, kann die Ernennung von Botschaftern verhindern oder im Ausland Reden halten, die er nicht mit dem Kanzler oder Außenminister abstimmen muss. Heinemann hat das etwa getan, als er die arabischen Herkunftsländer der Olympia-Terroristen 1972 in Mithaftung nahm – zum Entsetzen deutscher Diplomaten. 

Die Wirkung der öffentlichen Rede

Das führt zur eigentlichen, geheimen Macht des Präsidenten: die der öffentlichen Rede. „Der Bundespräsident kommt auch dann ins Gerede, wenn er selbst nicht redet“, hat Rudolf Augstein einmal gesagt. Die Aufmerksamkeit ist zwar größer, wenn der Präsident redet – und doch muss ein guter Präsident kein guter Redner sein. Horst Köhler gilt nicht gerade als begnadeter Rhetoriker. Das Echo selbst auf schwächere Reden ist gleichwohl gewaltig – vielleicht, weil es in Zeiten der Krise eine gewisse öffentliche Lust auf Wegweisung gibt. Oder auch, weil er sich gelegentlich auf Kosten des Parlaments und der Kanzlerin zu profilieren sucht. Die Wirkung der öffentlichen Auftritte des Präsidenten hängt vom gesellschaftlichen Umfeld ab – und, um ein von Konservativen verhasstes Wort zu benutzen, vom Zeitgeist. Der wehte immer auch aus dem Kanzleramt, drei Mal musste der Präsident über den Verbleib des Kanzlers im Amt entscheiden. Immer wieder mussten sich Amtsinhaber hier anhören, sie ließen sich von Kanzlern einspannen. Heinemann hatte es relativ leicht, als er von Brandt eine echte Vertrauensfrage auf den Tisch bekam; Carstens und Köhler mussten über „unechte“ richten (Kohl und Schröder). Beide kamen nicht umhin, das Vorgehen zu billigen, um „das Land aus einer tiefen politischen Krise herauszuführen“ (Carstens). Der Präsident, so sagte es Carstens, ist dabei „ein einsamer Mensch“.

Einsam ist er auch beim Ausfertigen von Gesetzen. Nur eine Handvoll Juristen beraten den Präsidenten, überhaupt ist das Präsidialamt eher minderbemittelt. Das materielle Prüfungsrecht wird überschätzt, auch wenn Köhler die Neuregelung der Flugsicherung nicht unterschrieb und dafür gelobt wie gescholten wurde. Da der Präsident nicht Hüter des Grundgesetzes ist (das ist das Verfassungsgericht), kann er nur Gesetze kassieren, die seine Juristen „zweifelsfrei und offenkundig“ verfassungswidrig nennen. Nicht immer war das der Fall – Johannes Rau etwa zog es vor, den Streit um die Abstimmung im Bundesrat über das Einwanderungsgesetz in Karlsruhe entscheiden zu lassen.

Was bleibt? Egon Gerstenmaier, der große Bundestagspräsident der 50er Jahre, hat an Theodor Heuss gelobt, der habe „die staatlichen Institutionen mit befreiender, gewissenhafter Menschlichkeit“ durchdrungen. Das mag man über alle Präsidenten sagen.

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