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Politik: Die Generalin Merkel macht auf den Regionalkonferenzen heimlich Punkte

Fast unwillig steht Angela Merkel von ihrem Stuhl auf, erhebt sich nicht einmal ganz, winkt in die Halle. Dann sitzt sie schon wieder.

Von Robert Birnbaum

Fast unwillig steht Angela Merkel von ihrem Stuhl auf, erhebt sich nicht einmal ganz, winkt in die Halle. Dann sitzt sie schon wieder. Aber die gut 800 CDU-Funktionäre aus Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, sie stehen weiter und klatschen ihr zu. Also noch mal kurz hoch, noch ein kurzes Winken, dann eine energisch bittende Handbewegung: Ist gut jetzt, setzt euch! Nein, haben vorher alle in der Berliner CDU-Führung mit besonders fester Stimme versichert, es soll kein Schaulaufen werden. Doch die erste der acht Regionalkonferenzen der CDU in der Lindenhalle in Wolfenbüttel wird ganz ohne Zweifel ein Schaulaufen.

Einberufen ursprünglich zu dem Zweck, dass Parteichef Wolfgang Schäuble und Generalsekretärin Merkel der verunsicherten Basis die Chance zum Dampfablassen bieten, haben die Treffen unversehens ein neues Thema: Wer soll Schäuble beerben? Die Lage ist schwierig, vor allem für Angela Merkel. In der CDU-Spitze hat sie für eine Kandidatur keine Mehrheit. Und auch Schäuble würde nach Überzeugung führender Christdemokraten ihr Antreten derzeit nicht befördern. So ist die Idee vom Übergangskandidaten Bernhard Vogel geboren worden.

Nicht ganz zufällig war Merkel bei der Geburt dabei: Mit einem Vorsitzenden Vogel könnte sie gut leben. Vor der Sitzung des CDU-Präsidiums am Donnerstag schien auch alles darauf zuzulaufen. Doch nicht nur Merkel-Freunde wollten keine rasche Entscheidung. Auch jene, die lieber Volker Rühe oder - wenn schon Übergang, dann mit Elan - Kurt Biedenkopf an der Spitze sähen, setzten zuvorderst auf Zeitgewinn. Die einhellige Formel dafür lautete: Erst mal mit der Basis sprechen.

Und so wird denn gesprochen in der Turnhalle in Wolfenbüttel. Über den Funktionären vom Orts- bis zum Landesvorsitzenden schweben hochgeklappte Basketball-Körbe, auf jedem Plastikstuhl liegt eine Wortmeldungskarte. Die Aufklärerin Merkel wirbt für die Geltung von Recht und Gesetz gegen ein Ehrenwort. Die Basis nickt. Das ist neu. "Wir haben zu lange bei Reden von Helmut Kohl Beifall geklatscht, obwohl wir wussten, dass wir mit ihm in eine Niederlage gehen", sagt später ein Delegierter, ohne dass sich dagegen Widerspruch in den Reihen regt. Dafür bekommt Niedersachsens Landeschef Christian Wulff starken Beifall, als er von Schäuble sagt: "Er ist ein Bundesvorsitzender wahrer Größe." Ein jüngerer Delegierter, der findet, Schäuble sei zu Recht zurückgetreten, erntet Murren. Die CDU hat einen neuen tragischen Helden. Mag sein, der alte hat nun ausgedient.

Die Basis nickt auch, als Merkel für Vielfalt wirbt: "Wer innerparteiliche Diskussion möchte, der muss auch ein sehr breites Spektrum von Meinungen aushalten." Aber hier und da zeigen sich skeptische Mienen. Als sich ein Jüngerer am Saalmikrofon zu der Formulierung hinreißen lässt, solche wie Bayerns Ministerpräsidenten Edmund Stoiber brauche man nicht, kommt lautes Murren auf. Der Altersschnitt hier in Wolfenbüttel liegt nahe bei den 60-Jährigen. Merkels Versuch, die CDU der Zukunft per Dreisatz zu definieren - soziale Marktwirtschaft, Verankerung in den Regionen, christliches Menschenbild - provoziert einen Weißhaarigen zu der Anmerkung, dass das Christentum bitte am Anfang zu stehen habe. Und da ist es wieder, dieses Misstrauen gegen die Ost-Frau mit dem eher liberalen Image, der man ihre Herkunft aus einem Pfarrhaus so wenig anmerkt.

Trotzdem ertönt jedes Mal freundlicher Beifall, wenn wieder einer seinen Beitrag mit den Worten beschließt: "Ich finde, Angela Merkel soll Parteivorsitzende werden." Kein frenetischer Jubel, gewiss. Doch die Generalin sammelt Punkte.

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