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Politik: Die größten Gegner profitieren

Polens Bauern machen gute Gewinne, die Letten freuen sich über Touristen – aber steigende Preise machen vielen Bürgern zu schaffen

Seit hundert Tagen ist die EU um zehn neue Mitglieder größer. Im Vorfeld der Erweiterung gab es neben großen Erwartungen große Befürchtungen, vor allem was die wirtschaftliche Entwicklung betrifft. Haben sich die Hoffnungen erfüllt, oder sind doch nur Ängste wahr geworden? Eine Bilanz aus drei neuen EUStaaten.

Die Horrorszenarien der EU-Gegner in POLEN haben sich bisher nicht erfüllt. Im Gegenteil: Der Abbau von Barrieren stimuliert das Wachstum; selbst auf dem Arbeitsmarkt ist eine leichte Trendwende zu spüren. Fast sieben Prozent beträgt das seit Jahresbeginn kräftig angezogene Wirtschaftswachstum – und hat damit nach langer Durststrecke das Rekordniveau von Mitte der 90er Jahre erreicht. Die Industrieproduktion legte im Juni sogar um 16 Prozent zu. Einen Exportboom verzeichnen Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie. Neben Obst und Molkereiprodukten ist vor allem Fleisch aus Polen bei Aufkäufern aus den alten EU-Staaten gefragt: In Warschau wird für diese Jahr mit einer Steigerung der Fleisch-Ausfuhr von 30 bis 40 Prozent gerechnet.

Dabei stand gerade der starke Bauernstand dem EU-Beitritt skeptisch gegenüber. Doch obwohl die Direktbeihilfen noch gar nicht angelaufen sind, haben sich den hochmodernen Großbetrieben mit dem EU-Beitritt neue Absatzmärkte erschlossen. Auch kleinere Betriebe profitieren auf dem heimischen Markt von den angezogenen Absatzpreisen. Große Lebensmittelunternehmen wie der Geflügelproduzent Indykpol in Olsztyn, der Molkerei-Konzern Mlekovita in Wysokie oder der Wursthersteller Morliny in Ostroda investieren wegen der starken Auslandsnachfrage Millionen von Euro in ihre Produktionsanlagen. Die stark gestiegenen Lebensmittelpreise bekommen die einkommensschwachen Bevölkerungsschichten zu spüren. Die Inflation, die in den letzten Jahren meist zwischen ein und zwei Prozent betrug, ist im Juli auf 4,7 Prozent geklettert. Die Nationalbank hat Ende Juli die Leitzinsen erhöht und weitere Anhebungen angekündigt.

Seit Februar ist die Arbeitslosigkeit vier Monate in Folge von 20,3 auf zuletzt 19,6 Prozent zurückgegangen. Arbeitsminister Jerzy Hausner hofft, dass die Arbeitslosenrate bis Jahresende auf unter 19 Prozent sinken wird. Viele Polen gehen außerdem in die drei EU-Staaten, die ihre Arbeitsmärkte Bürgern aus den neuen EU-Staaten ohne Einschränkungen geöffnet haben. Irland und Schweden haben einige tausend zusätzlicher Einreisende registriert. Und nach Großbritannien haben sich seit dem 1.Mai 50 000 sogar Polen aufgemacht. Doch viele kehren auch wieder nach Hause zurück: Ohne Sprachkenntnisse und Kontakte hat die Jobsuche im vermeintlichen britischen Arbeitsparadies nur wenig Aussicht auf Erfolg. tro

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Vermutlich hoffte Premierminister Indulis Emsis, dass LETTLAND mit dem EU-Beitritt die großen außenpolitischen Themen erst mal zur Seite legen und sich vernachlässigten innenpolitischen Problemen zuwenden könnte. Doch daraus wurde nichts. Das Verhältnis zum großen Nachbarn Russland hat sich nicht wie erwartet entspannt: Mit einem Feuerwerk von Verlautbarungen und Ansprachen griff Moskau in den vergangenen Wochen Lettland an. Immer wieder verwies Russland auf die Situation der großen russischsprachigen Minderheit im Land, die angeblich diskriminiert wird.

Im Juli gewann Moskau sogar die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa für eine Entschließung, die sich bei namentlicher Nennung Lettlands und Estlands kritisch mit dem Thema auseinander setzt. Insofern überraschte in Lettland am meisten, was sich seit dem EU-Beitritt nicht geändert hat – dass Moskau, so sieht man es jedenfalls in Riga, Lettland noch immer wie eine ehemalige Sowjetrepublik und weniger wie einen Teil der EU behandelt.

„Einigen russischen Politikern passt es nicht, dass bei uns alles glatt geht“, sagt Premier Emsis. Davon kann aber auch nicht die Rede sein: Der Konflikt um eine Bildungsreform, die den Anteil lettischsprachigen Unterrichts an Minderheitenschulen erhöhen soll, droht zum Schulbeginn am 1. September zu eskalieren, da radikale Reformgegner zu landesweiten Protesten aufgerufen haben. Wie seine Amtskollegen in anderen neuen EU-Staaten musste Emsis seinen Landsleuten erhebliche Preiserhöhungen erklären, die nach dem 1. Mai einsetzten. Die Inflationsrate sprang sofort auf über sechs Prozent. „Einige Kaufleute nutzten den Beitritt wohl, um zusätzliche Gewinne einzufahren“, vermutet Emsis, überrascht über das Ausmaß der Erhöhungen.

In anderen Bereichen macht sich der zunehmende Wettbewerb nach dem Wegfall der Zollschranken positiv emerkbar: Zum Beispiel in der Luftfahrtbranche, die mit Preissenkungen den Boom im Baltikum-Tourismus anheizt. Die lettische „Air Baltic“ hatte bereits vergleichsweise günstige Flüge nach Riga eingeführt und fliegt seit der Erweiterung auch von Litauen und Estland nach Mittel- und Westeuropa. Die Passagierzahl lag im Juni um 77 Prozent höher als im Juni 2003. Bislang krankte der Baltikum-Tourismus an der je nach Verkehrsmittel beschwerlichen oder teuren Anreise. Das ist vorbei: Seit kurzem steuert auch die irische „Ryanair“ Riga an. jap

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Viel verändert hat sich auf ZYPERN nicht, seit die Insel am 1. Mai der EU beitrat. Im griechischen Süden weht jetzt zwar die blaue Europafahne vor den Amtsgebäuden, aber im Inselnorden flattern immer noch die weiß-roten Flaggen der „Türkischen Republik Nordzypern“. Zypern bleibt geteilt, für die türkische Volksgruppe hat sich die Hoffnung auf den EU-Beitritt bisher nicht erfüllt. Mit der Aufnahme der geteilten Insel gab die EU einer Erpressung nach: Griechenland drohte, die Osterweiterung platzen zu lassen, wenn Zypern nicht mit dabei sei. Man könne die griechischen Zyprer nicht dafür bestrafen, dass die Türkei und die Zyperntürken sich seit Jahrzehnten gegen eine Wiedervereinigung der Insel sperrten, argumentierten die Griechen.

Heute steht keines der Beitrittsländer in der EU politisch so isoliert da wie Zypern. Der griechisch-zyprische Präsident Papadopoulos hat unter seinen europäischen Kollegen keine Freunde. Sogar die Regierung in Athen geht auf Distanz. Den störrischen Inselgriechen scheint das nicht zu kümmern. Er geht weiter auf Konfliktkurs zur EU. Geplante Finanzhilfen für die Zyperntürken will er mit seinem Veto blockieren, die Lockerung des Wirtschaftsembargos gegen den verarmten Inselnorden notfalls vom Europäischen Gerichtshof verbieten lassen. Mittlerweile rechnet man in Brüssel sogar mit der Möglichkeit, dass Papadopoulos im Dezember die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei mit seinem Veto blockieren wird. Manche in Brüssel reut es bereits bitter, die geteilte Insel überhaupt aufgenommen zu haben. öhl

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