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© Kai-Uwe Heinrich

Die Grünen: Trotziger Jubel bei Chili con Soja

Bei der Wahlparty der Grünen hält sich die Feierlaune in Grenzen – was am Abschneiden der SPD und an hausgemachten Problemen liegt.

Von Matthias Meisner

„Abseits vom Jubel, weil wir wirklich toll zugelegt haben, ist das eine strategische Scheiße.“ Klarer als andere benennt Reinhard Bütikofer, Europaabgeordneter und früherer Vorsitzender der Grünen, das Dilemma angesichts des Abschneidens seiner Partei. „Warum sollen wir weinen?“, fragt er mit Blick auf das zweistellige Ergebnis der Ökopartei, ein aus seiner Sicht „symbolisch wichtiger Schritt“. Doch abseits davon: Zentrale Wahlziele haben die Grünen verfehlt, eine schwarz-gelbe Regierung konnten sie nicht verhindern, und statt, wie angestrebt, drittstärkste Kraft werden sie auch im neuen Bundestag weiterhin nur die kleinste der fünf Fraktionen stellen. Dazu kommt: Wie alle kleinen Parteien haben auch die Grünen zugelegt und fühlen sich jetzt mittelgroß. Nur: Das Plus bei FDP und auch Linken ist deutlich größer. Entnervt zeigt Bütikofer auf die Säule der SPD, die gerade in einer Hochrechnung des Fernsehens angezeigt wird.

Das mit Laugenbrezeln, Bratwürsten von Schweinen aus artgerechter Haltung, Chili con Soja und Biobärchen gestärkte Parteivolk, das sich zur zentralen Wahlparty im Berliner Postbahnhof am Ostbahnhof versammelt hat, muss nach Schließung der Wahllokale fast eine halbe Stunde lang warten, bevor es von den Spitzenkandidaten Renate Künast und Jürgen Trittin auf Jubel eingestimmt wird. Um 18.24 Uhr erklimmen die beiden die Bühne, umarmen und feiern sich. In einer „wirklich schwierigen Situation“, sagt Künast, hätten die Grünen besser abgeschnitten als jemals in ihrer Geschichte. „Wir werden die Schwarzen und Gelben vor uns hertreiben“, verkündet Trittin. Nur am Rande kommt er auf den Regierungswechsel zu sprechen, sagt – mit Blick auf die SPD: „Wir konnten nicht das ausgleichen, was andere katastrophal verloren haben.“ Einem Fernsehreporter versichert Künast, die Grünen seien die einzige Partei, die sich den Zukunftsthemen zuwende: „Ich brauche keine andere Farben heute Abend.“

War das nun wirklich das „saugute“ Ergebnis, das sich Trittin gewünscht hatte? So richtig nehmen die Parteifreunde ihren Spitzen den Jubel nicht ab. Die frühere nordrhein-westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn, stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, braucht Rückenwind für die Landtagswahl im kommenden Jahr in ihrem Bundesland. Sie sagt, es sei „bedauerlich“, dass die SPD „so stark eingebrochen ist“. Dass Union und FDP nun zusammen regieren könnte, bereite ihr „Kummer“. Hausgemachte Probleme? Auch das, gibt Höhn zu – und verweist etwa auf das Taktieren der Grünen im Saarland, die auch über ein Jamaika-Bündnis aus CDU, FDP und Grünen verhandeln, während die gleiche Konstellation für den Bund ausgeschlossen wurde. „Das hat es nicht einfacher gemacht.“ Die thüringische Landesvorsitzende Astrid Rothe-Beinlich stellt fest, dass die Linke mehr als ihre Partei Unzufriedenheit mit der SPD in Stimmen für sich ummünzen konnte.

Der Spitze war es im Verlauf des Wahlkampfes nicht gelungen, die Anhänger auf eine Linie einzuschwören. Noch zu Beginn des Superwahljahres wollte sie eine klare Festlegung für ein Ampelbündnis aus SPD, FDP und Grünen, scheiterte aber am heftigen Widerstand der Basis. Stattdessen eine Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen? „Jamaika bleibt in der Karibik“, beschlossen die Delegierten eines Länderrates am Wochenende vor der Wahl. Offenbar waren die Spitzenleute auch nicht darauf vorbereitet, dass FDP-Chef Guido Westerwelle die Ampel-Koalition kategorisch ausschloss, obwohl sie rechnerisch in greifbarer Nähe schien. „Zum Ende unseres Wahlkampfes hin war die Luft raus“, analysiert ein Stratege am Rande der Party im Postbahnhof. Er fügt hinzu: Mit der vielfach geklebten Parole „Schwarz-Gelb verhindern“ hätten die Grünen zwar ein richtiges Ziel verkündet, die Wähler aber nicht automatisch angezogen. Denn wer keine schwarz-gelbe Regierung wollte, konnte am Sonntag ebenso gut SPD oder Linkspartei wählen.

Nun finden sich SPD, Linke und Grüne gemeinsam in der Opposition, die rechnerische Mehrheit für ein Linksbündnis, 2005 noch vorhanden, ist dahin. „Natürlich muss man darüber diskutieren“, sagt Parlamentsgeschäftsführer Volker Beck über mögliche Schnittmengen der drei neuen Parteien, ärgert sich aber zugleich über den fehlenden Kampfgeist der SPD.

Erstmals hatten die Grünen einen Bundestagwahlkampf ohne Joschka Fischer bestritten, sich damit, wie Bärbel Höhn erläutert, „vollständig emanzipiert“. Das immerhin galt am Wahlabend bei den Grünen als unstrittig. Folgen haben wird dies auch für die personelle Aufstellung. Es war kein Zufall, dass sich Trittin und Künast vor ihrer Anhängern gegenseitig eine „wunderbare Zusammenarbeit“ bescheinigten. Die beiden wollten, hieß es bereits vor der Wahl, im Falle eines guten Abschneidens die neue Bundestagsfraktion gemeinsam führen. Künast bleibt also im Amt, Trittin beerbt den bisherigen Fraktionschef Fritz Kuhn. Um das durchzusetzen, gilt das Abschneiden der Grünen am Sonntag als gut genug.

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