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Der schleswig-holsteinische Umwelt- und Landwirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis90/Die Grünen).

© dpa

Die Grünen und Gerechtigkeit: Umweltpolitik kann auch unsozial sein

Ökonomie und Ökologie passen nicht per se zusammen. Es bedarf der Politik, um die Widersprüche auszutarieren. Ein Gastbeitrag.

Der nächste Bundestagswahlkampfes wirft schon mächtige Schatten voraus. Die AfD schürt nicht nur Hass, sondern sät Angst vor dem Verlust, um sich dann als Partei der Verlierer zu gerieren. Die SPD möchte mit einem Gerechtigkeitswahlkampf Stimmen von denen zurückholen, die von der Wohlstandsentwicklung nicht profitiert haben. Die Union übt sich, auch um die Wogen in der Flüchtlingspolitik zu glätten und die damit verbundenen Neiddebatten einzufangen, in Versprechen von besseren Renten und „mehr Netto vom Brutto“.

Grüne Gerechtigkeitspolitik sollte sich nicht auf Umverteilung von Eigentum beschränken

Bei den Grünen beschränkt sich die Gerechtigkeitsfrage einmal mehr auf die Frage „Wie hältst Du es mit der Vermögenssteuer?“. Damit drohen wir den Fehler des vergangenen Wahlkampfs zu wiederholen. Zwar ist ein höherer Beitrag sehr großer Vermögen am staatlichen Gemeinwesen aus grundsätzlichen Gründen notwendig, aber eine grüne Gerechtigkeitsdiskussion sollte sich weder auf die Umverteilung bereits erworbenen Eigentums noch überhaupt auf eine reine Verteilungsdiskussion beschränken. Sie muss vor allem das Entstehen von Ungerechtigkeit bekämpfen und sich für eine breite Teilhabe aller von Anfang an einsetzen.

Zu viele Leute fühlen sich schlicht abgehängt. Sie haben nicht nur finanzielle Existenzängste, sondern fühlen sich von der Politik in ihren konkreten Anliegen nicht mehr gehört: Langzeitarbeitslosigkeit, langes Warten auf behördliche Bescheinigungen, Schulmensa-Essen, das etliche für ihre Kinder nicht bezahlen können, Wohnungen, deren Mieterhöhung man sich auch bei gutem Einkommen nicht mehr leisten kann.

Ungerechtigkeit entsteht auch durch ökologische Probleme

Zu einem breiteren Verständnis von Zugehörigkeit und Anerkennung gehört auch ein Verständnis für die Ungerechtigkeiten, die durch ökologische Probleme entstehen. Zugleich muss grüne Gerechtigkeitspolitik die sozialen Fragen, die Umwelt- und Klimaschutzpolitik eben auch aufwerfen, ernstnehmen. Und sie muss sich um Antworten kümmern.

Zum ersten: Umweltlasten sind in dieser Gesellschaft ebenso ungleich verteilt wie Einkommen und Vermögen - mit ebensolchen Konsequenzen für die Armen.

Das Recht auf eine saubere Umwelt ist auch in Deutschland je nach sozialem Status unterschiedlich verwirklicht. Während die Gutverdiener mit ihren SUVs die engen Straßen historischer Innenstädte verstopfen, was dort den AnwohnerInnen Raum nimmt, leiden die Mieter in den Wohnblocks an den Ausfallstraßen unter hohen Stickoxyd- und Feinstaubbelastungen. Selbst die Luft ist sozial ungerecht verteilt. Deutschland schneidet hier im Vergleich der Industriestaaten sehr schlecht ab, wie jüngst die Bertelsmann-Studie zu den Nachhaltigkeitszielen festgestellt hat. Sehr ungleich verteilt sind auch Lärmbelastungen, die zu Konzentrations- und Schlafstörung führen und erhebliche Einbußen an Lebensqualität für diejenigen mit sich bringen, die sich das Wohnen in ruhigeren Lagen nicht leisten können.

Wir sind noch weit entfernt von „Bio für alle“

Die Zunahme von Stürmen und Hochwasser in Deutschland führt dazu, dass die Versicherungen die Gebühren anziehen. Bis zu 20 Prozent stiegen die Kosten für Gebäudeversicherungen, mehrere hundert Euro im Jahr,. Weltweit belaufen sich die Klimafolgekosten auf knapp 100 Milliarden Euro jährlich! Die Hochwasser von 2013 haben die öffentliche Hand zwölf Milliarden Euro gekostet. Geld, das an andere Stelle, fehlt - für Schulen, Kitas, Soziales. Die Klimaschäden fressen buchstäblich die öffentlichen Mittel auf.

Es gibt aber auch die zweite Dimension, die gerade uns Grünen zu denken geben muss. So sind wir sind noch weit entfernt von „Bio für alle“, wie wir es auch wegen der deutlich reduzierten Umweltbelastungen und Pestizidrückstände fordern. Mit Vorwürfen an die alleinerziehende Mutter kommen wir nicht weiter, so lange die Tüte Gummibärchen ein Fünftel von dem kostet, was man für frische Erdbeeren bezahlt. Um eine ausgewogene Ernährung in Bio-Qualität zu gewährleisten reicht der Hartz IV-Regelsatz hinten und vorne nicht. Ein Liter Biomilch kostet 1 Euro 20, konventionelle Milch bei Aldi unter 50 Cent.

Für das Dämmen von Häusern muss man Kredite aufnehmen – wenn man den überhaupt ein Haus hat – und die Miete steigt nach einer Sanierung um bis zu elf Prozent pro Jahr. Ein Handy aufladen, Fernsehgucken, eine Laptop bedienen, das wollen wir alle. Entsprechend wirken Abgaben und  EEG-Umlage degressiv. Sie belasten die Ärmeren relativ mehr als die Wohlhabenden. Klimaschutz ist, so gesehen, exklusiv.

Und die Energiewende, so dringend nötig sie ist, um den Klimawandel zu bremsen und die enormen Folgekosten nicht ins Exorbitante steigen zu lassen, so sehr sie auch zur Umweltgerechtigkeit beiträgt, wird zwangsläufig mit regionalen Strukturbrüchen einhergehen. Der zwingend notwendige Kohleausstieg bedeutet auch, dass eine Branche mit vielen Arbeitsplätzen verschwindet. Es entstehen auf der anderen Seite neue Industriezweige, aber es wird eine schmerzhafte Phase des Übergangs geben, die eben auch Armut in der Lausitz oder im Ruhrgebiet nach sich zieht. Auch hier gilt: Vom Klimaschutz profitieren eben nicht alle auf Anhieb. Wir Grünen kennen uns super mit den Rotorhöhen der Windkraftanlagen aus. Und wir haben total ausgetüftelte Umverteilungskonzepte für die Steuerpolitik. Aber die Synthese aus Umwelt- und Sozialpolitik fällt uns manchmal schwer.

Das Geld holt man sich am besten von unsinnigen Subventionen

Dabei ist genau die unsere Aufgabe. Oft und zu schnell streiten wir Grüne ab, dass an dem Vorwurf des Bionade-Biedermeier etwas dran ist. Wir sind eine soziale Partei, es kann doch nicht sein, dass Umweltpolitik unsozial ist. Doch, kann es. Natürlich gibt es x Gründe, warum durch eine solche Politik langfristig gesehen alle profitieren - Tiere, Mensch und Umwelt. Aber zunächst einmal kann sich nicht jeder eine Solaranlage leisten, und alle müssen sie bezahlen. Ökonomie und Ökologie passen nicht per se zusammen. Es bedarf der Politik, um die Widersprüche auszutarieren.

Wie wäre es, wenn wir das zugeben würden und vor allem dann versuchen, das zu ändern? Im Grunde geht es darum, die Teilhabe an der ökologischen Transformation zu verbreitern.

Das Geld holt man sich am besten von ökologisch unsinnigen Subventionen. Das Umweltbundesamt beziffert diese auf 52 Milliarden/Jahr. Solche Subventionen sind häufig Finanzhilfen und Steuervergünstigungen wie das Dienstwagenprivileg, die Kerosinsteuerbefreiung, die Subventionierung von stromintensiven Unternehmen, deren schädlichen Wirkungen und gesundheitlichen Belastungen vor allen auch die Armen tragen müssen, während die Besserverdienenden, die mit dem Dienstwagen und der Miles-and-more-Card, die Privilegien einheimsen. Durch sie entgehen dem Staat Milliarden an Steuergeldern, die gebraucht würden, um kleinere Klassen, gesunde Ernährung, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Dort wäre es viel besser investiert.

Man muss den Kohleausstieg sozial begleiten

Entsprechend müssen wir beim Kohleausstieg die Phase des Übergangs gestalten. Es müssten gerade wir Grüne sein, die sagen, dass man den Kohleausstieg nicht nur klimapolitisch wollen, sondern auch sozial begleiten muss. Wir, deren DNA die Energiewende ist, wir, die die Energiewende täglich in zehn Bundesländen umsetzen, wir sollten nicht den Verlust von Arbeitsplätzen kleinreden, sondern Bündnisse schmieden, um den Übergang abzufedern. Wir sollten diejenigen sein, die sagen, dass die Energiewende nur dann breit akzeptiert und zum Nutzen aller sein wird, wenn sie sozial gerecht ausgestaltet wird. Wir brauchen also nicht nur einen Ausstiegsfahrplan aus der Kohle, sondern parallel dazu einen Beschäftigungsfahrplan für die Belegschaften und die Regionen. Und beim Ausbau der Erneuerbaren müssen über Bürgerenergie- oder Mieterstrom-Modelle gleichzeitig sozialpolitische Akzente gesetzt werden, die die Exklusivität der Energiewende nehmen. 

Die klassische Steuergerechtigkeit und die ökologische Gerechtigkeit brauchen einander. Wer Gerechtigkeit nicht auch als Teilhabe an den öffentlichen Gütern definiert, lässt wesentliche Aspekte weg. Einer „roten“ Verteilungsgerechtigkeit sollte die Grünen eine zweite Erzählung entgegensetzen. Sie sagt im Kern, dass ohne eine Einbindung der ökologischen Probleme die gesellschaftlichen verfehlt werden. Und es müssen nach Lage der Dinge die Grünen sein, die das thematisieren. Sonst tut es niemand.

Der Autor ist stellvertretender Ministerpräsident von Schleswig- Holstein und Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und Ländliche Räume. Habeck bewirbt sich bei den Grünen um die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl 2017.

Robert Habeck

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