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Auch im Libanon protestieren zahlreiche Menschen gegen Syriens Machthaber Baschar al-Assad.

© dpa

Die helfenden Geister von Syrien: Wie Verwundete in Syrien notversorgt werden

Assads Schergen töten verwundete Oppositionelle in Krankenhäusern. Überleben können diese nur, wenn sie privat versorgt werden.

Mohammad hatte nicht damit gerechnet, die Schießerei zu überleben. Das Letzte, woran er sich erinnerte, war ein Meer von Blut auf der Straße, als die syrischen Sicherheitskräfte das Feuer auf die Demonstration in einem Vorort von Damaskus eröffneten. Kurz bevor er das Bewusstsein verlor, dachte der 20-Jährige, jetzt sind wir alle tot. Doch er lebt. Blass ist er und hängt am Tropf, ein Röntgenbild zeigt den Bruch im Knöchel, wo die Kugel den Knochen durchschlagen hat. Er liegt auf einem weichen Bett in der Ecke eines Zimmers in einem großen Haus.

Dies sei die letzte von mehreren Stationen auf dem Weg durch die mobile Krankenversorgung, erklärt uns Abu Ra’fat, der uns in dieses geheime Lazarett gebracht hat. „Die Idee zu den mobilen Krankenhäusern kam uns, nachdem wiederholt Sicherheitskräfte gewaltsam in die regulären Krankenhäuser eingedrungen waren und dort verwundete Demonstranten getötet haben“, sagt er. „Offenbar gibt es für sie keinerlei religiöse oder ethische Grenzen. Also mussten wir über Alternativen nachdenken, wie wir unsere Verwundeten versorgen können.“

Da ausländische Journalisten nur schwer Zugang nach Syrien erhalten, lassen sich Vorwürfe gegen die syrischen Sicherheitskräfte von unabhängiger Seite kaum überprüfen. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch haben aber wiederholt über Vorfälle in Krankenhäusern berichtet, bei denen verwundete Demonstranten getötet wurden oder spurlos verschwanden, bisweilen sogar aus dem Operationssaal herausgeholt worden sind. Oder wie ein Aktivist es formuliert: „Du wirst mit einer Kugel im Bein ins Krankenhaus eingeliefert und verlässt es mit einer Kugel im Kopf.“

Demonstranten in Damaskus sowie in anderen Regionen des Landes greifen daher auf improvisierte mobile Krankenhäuser zurück. Freiwillige helfen bei der Suche nach Häusern, die sich als Zuflucht eignen, sowohl für Verletzte, die medizinische Versorgung brauchen, als auch für Aktivisten, die untertauchen müssen. Die Verantwortlichen in diesen mobilen Krankenhäusern sind in der Regel Ärzte und Krankenschwestern, die ihren

medizinischen Eid ernst nehmen und darüber hinaus das Streben der Syrer nach Freiheit von Tyrannei und Unterdrückung unterstützen wollen. Ein Arzt, dessen Name geheim bleiben muss, sagt: „Ich bin spezialisiert in der Chirurgie, und ich habe mit einer Reihe von Ärzten beschlossen, den verwundeten Demonstranten in unserer Region zu helfen.“ Mohammads Verletzung sei ernst gewesen: Er habe die Kugel aus dem Knöchel entfernt, die Wunde gereinigt und sterilisiert. Nun müsse er Antibiotika und andere Medikamente einnehmen, um die Schwellung im Fuß zu reduzieren. Der Arzt bewundert den „Mut“ der jungen Männer und ihre Bereitschaft, Schmerzen zu ertragen und preist die hilfreichen Geister, die ihre Häuser als Zuflucht für die Verwundeten zur Verfügung stellen und medizinisches Gerät und Medikamente besorgen. Vom einfachen Erste- Hilfe-Kasten bis zur Ausrüstung für komplizierte Operationen wird alles benötigt in den mobilen Krankenhäusern.

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Um die allgegenwärtigen Spione des Regimes auszutricksen, müssen die Verletzten häufig mehrfach verlegt werden. Abu Ra’fat erzählt, Mohammed sei in drei mobilen Krankenhäusern behandelt worden. Zunächst brachten ihn seine Retter in eine Zuflucht nahe dem Ort, an dem er angeschossen wurde. Doch schon kurz darauf verlegten sie ihn erneut, da sie das Gefühl hatten, beobachtet worden zu sein. Im zweiten Feldlazarett blieb er eine Woche, bevor sie ihn in das Haus brachten, wo er jetzt versorgt wird.

Viele Bewohner von Damaskus, die früher ihre Häuser und Wohnungen vermietet haben, stellen sie heute kostenlos für die Betreuung der Verletzten oder als Versteck zur Verfügung. Ein Hausbesitzer, dessen Immobilie nun als mobiles Lazarett dient, sagt: „Ich hatte mein Haus zur Vermietung ausgeschrieben, aber als die Proteste begangen, habe ich es vom Markt genommen, da ich mir dachte, dass solche Unterkünfte bald benötigt würden.“ Nach dem Risiko befragt, das er damit eingeht, zuckt er nur mit den Schultern: „Mein Leben ist nicht wertvoller als das der Demonstranten, die alles riskieren.“ In den ländlichen Gegenden ist die Untergrundmedizin deutlich schwieriger. Viele Dörfer sind klein, und wenn bei einer Demonstration jemand angeschossen wird, weiß es sofort jeder, was den Spitzeln der Geheimdienste die Arbeit erleichtert.

Etwa 360 Kilometer nördlich von Damaskus erreichen wir das Örtchen Idlib nahe der Türkei. Diese Grenznähe, erklärt uns ein junger Mann, sei von Vorteil. Aus Jisr al Shugur etwa, einem Dorf, das im Juni dieses Jahres traurige Berühmtheit durch eine massive Militäroffensive der syrischen Armee erlangte, würden Verwundete nach einer Ersten- Hilfe-Behandlung vor Ort häufig über die Grenze geschmuggelt, um in der Türkei angemessene medizinische Versorgung zu erhalten.

Dennoch werden auch hier mobile Krankenhäuser benötigt, da der Weg zur Grenze oft blockiert ist oder es nach Aussagen von Aktivisten Grenzpolizisten gibt, die nicht zögern, Verletzte samt Begleitern zu töten. Wer beim Betreiben eines mobilen Krankenhauses hilft und erwischt wird, wird verhaftet und wie ein Schwerverbrecher behandelt. Ein junger Mann, der zum örtlichen Koordinationskomitee der Demonstranten in Idlib gehört, erzählt, dass Sicherheitskräfte vor Wochen seine Stadt durchkämmt hätten auf der Suche nach Ärzten, Apothekern und Krankenschwestern, die verwundete Demonstranten behandeln. Andere berichteten, dass die Ausgabe medizinischer Vorräte inzwischen streng kontrolliert werde und sich jeder verdächtig mache, der größere Mengen Blutkonserven oder Medikamente beschaffen wolle. Bei der Suchaktion seien vier Ärzte, eine Krankenschwester und ein Apotheker verhaftet worden. Ihr Verbrechen: Sie haben verwundeten Menschen geholfen und sie in einem mobilen Krankenhaus mit Medikamenten versorgt.

Fast alle Verwundeten in den versteckten Krankenhäusern haben nur einen Wunsch: möglichst wieder demonstrieren zu können.

Mohammed Hassan ist das Pseudonym eines syrischen Journalisten und Aktivisten, dessen Identität aus Sicherheitsgründen geheim bleiben muss. Der Autor ist dem Tagesspiegel bekannt.

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