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Politik: Die Hofburg gewonnen, aber dann?

Den neuen österreichischen Präsidenten stellt die SPÖ – doch trotz des Erfolgs wackelt der Stuhl des Parteichefs

Thomas Klestil hätte fast nicht mitbestimmen dürfen, wer sein Nachfolger wird. Österreichs amtierender Präsident hatte nämlich am Sonntag seine Wahlkarte vergessen. Erst wollte die Wahlkommission das Staatsoberhaupt nicht zur Wahlurne vorlassen. Erst als sich ein Wahlhelfer für Klestil verbürgte, seine Identität bestätigte und angab, den Bundespräsidenten nach Hause zu begleiten, um dort seine Wahlkarte zu übernehmen, konnte Klestil doch noch abstimmen. Wie 70 Prozent der Österreicher auch, so hoch lag die Wahlbeteiligung.

Mit 52,4 Prozent dieser Stimmen gewann der derzeitige Nationalratspräsident Heinz Fischer, der von der oppositionellen Sozialdemokratie nominiert wurde. Seine Gegenkandidatin Benita Ferrero-Waldner kam auf 47,6 Prozent und wird weiterhin für die bürgerliche ÖVP Außenministerin bleiben. Dass Fischer nach einem an Inhalten relativ armen Wahlkampf so klar gewonnen hat, wird in Österreich als Überraschung gewertet – möglich wurde das auch, weil die Wahlbeteiligung so gering blieb. Vor allem in den von der ÖVP dominierten westlichen Bundesländern blieb fast jeder Zweite der Wahl fern, und das, so die Wahlforscher, gab für Fischer den Ausschlag.

Für die SPÖ ist Fischers Sieg nach mehreren Regionalwahlen bereits der vierte Wahlerfolg in diesem Jahr. Dementsprechend gelöst war die Stimmung unter den Parteigängern. Schon als um 16 Uhr die ersten inoffiziellen Hochrechnungen Fischers Vorsprung verkündeten, wurden im SPÖ-Zelt in Wien Bier und Sekt aufgefahren, und als der Wahlsieger kurz vor 18 Uhr zu den Klängen von Tina Turners „Simply the best“ einzog, träumten die meisten von einer Trendwende in der österreichischen Politik: „Und jetzt auch noch die Nationalratswahlen“, rief ein junger Sympathisant, als die SPÖ-Spitze an ihm vorbeizog.

Doch dass Fischers Wahl tatsächlich zu einem Wiedererstarken der einstigen Staatspartei SPÖ führen könnte, bezweifelten auch am Sonntag viele SPÖ-Funktionäre. Nur noch wenige trauen in der Partei dem zwar intelligenten, aber im Land nicht sehr beliebten SPÖ-Vorsitzenden Alfred Gusenbauer zu, bei den kommenden Nationalratswahlen 2006 Kanzler Wolfgang Schüssel ernsthaft herausfordern zu können. Schon in den vergangenen Wochen war hinter vorgehaltener Hand über Gusenbauers Ablösung gemunkelt worden, und hätte Fischer die Wahl verloren, dann wären Gusenbauers Tage als SPÖ-Chef schon jetzt gezählt gewesen.

In Wien, wo er ab Juli in der Hofburg residieren wird, kam Fischer auf 65,4 Prozent der Stimmen. Möglich war das nur, weil die traditionell starke Wiener SPÖ von Bürgermeister Michael Häupl einen fulminanten Wahlkampf hingelegt hat. Häupl ist aber alles andere als ein Freund des Parteichefs – mit diesem Erfolg in Wien wird Häupls Wort in der Bundespartei wohl noch gewichtiger werden. Schon am Wahlabend wurde deswegen in der SPÖ über neue Szenarien für einen Gusenbauer-Abschied nachgedacht. Wahrscheinlichste Variante: Er soll spätestens im Frühjahr 2006, sechs Monate vor der nächsten Nationalratswahl, einen Kanzlerkandidaten zur Seite gestellt bekommen. Immer wieder im Gespräch für diesen Job ist der derzeitige RTL-Chef Gerhard Zeiler, der schon in den 80er-Jahren für die österreichische Sozialdemokratie aktiv war.

Markus Huber[Wien]

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