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Politik: Die Jünger des Papstes

Von Martin Gehlen Für PR-Berater wäre er ein hoffnungsloser Fall. Der 82-jähriger Greis kann keine zwanzig Schritte mehr gehen.

Von Martin Gehlen

Für PR-Berater wäre er ein hoffnungsloser Fall. Der 82-jähriger Greis kann keine zwanzig Schritte mehr gehen. Zusammengesunken sitzt er in seinem Stuhl, seine Hände zittern, seine genuschelten Worte sind kaum zu verstehen. Zur Eleganz und Souveränität, zur Ästhetik und Selbstdarstellung, wie sie im Fernsehzeitalter auf der Weltbühne selbstverständlich sind, verkörpert Papst Johannes Paul II. das Gegenbild – ein Mann, krank und gezeichnet, geht öffentlich seinem Tod entgegen.

Und trotzdem ist die Wirkung des katholischen Oberhauptes ungebrochen. Alle zwei Jahre fahren Hunderttausende Heranwachsender auf die von ihm erfundenen Weltjugendtreffen. Je älter und gebrechlicher der Papst, desto größer wird offenkundig sein Ansehen bei jungen Leuten. Viele, die in diesem Jahr aus allen Himmelsrichtungen im kanadischen Toronto zusammengekommen sind, waren noch nicht auf der Welt, als das römische Enklave 1978 den konservativen und prinzipienfesten Polen auf den Papstthron wählte. Diese christliche Enkelgeneration hat nie einen anderen als Karol Wojtyla an der Spitze der Kirche erlebt.

Es wäre zu einfach, die christlichen Mega-Treffen abzutun als flüchtige Happenings mit dem Papst in der Rolle eines Popstars. Es geht um mehr: Viele der Jungen interessieren sich wieder für die zentralen Fragen des Glaubens: die Botschaft Christi, das Gebet, das Streben nach Gerechtigkeit und die Messias-Verheißung im Alten Testament. Zu ihnen gehören die als ultrafromm belächelten Mitglieder der neuen geistlichen Bewegungen ebenso wie die normalen diözesanen Jugendverbände, die sich früher eher mit kritischen Stellungnahmen profilierten. In beiden Gruppen ist eine junge Generation herangewachsen, die nicht mehr in den Kategorien von „fromm und rechts" oder „kritisch und links" denkt, sondern sich stärker auf den religiösen Kern ihres Christseins besinnt. Noch ihre Eltern sind vielfach im katholischen Milieu groß geworden und haben sich in zähen Kämpfen daraus emanzipiert. Während sie seitdem zur Kirche in kritischer Distanz leben, nähern sich ihre Kinder wieder mit neuer Unbefangenheit. Die Autoritätskonflikte ihrer Eltern bewegen sie nicht. Abschaffung des Zölibats, Frauenpriestertum und Demokratisierung gehören bei ihnen nicht zu den primären Forderungen an die Gestalt der Kirche.

Der heutige christliche Nachwuchs ist groß geworden in einer komplexen, pluralistischen Welt. Er empfindet es als wohltuend, sich wie in Kanada mit Gleichgesinnten aus 170 Nationen auszutauschen. Man vertraut einander, weil man den gleichen Glauben hat. Man trifft auf neue Freunde, die nach ähnlichen Überzeugungen leben. Die Internationalität der katholischen Kirche erfahren diese jungen Christen als Ereignis und als Orientierung – verkörpert durch den Papst. Er ist ein Mensch, der das lebt, was er sagt. Er begegnet Heranwachsenden mit Sympathie und Respekt. Er traut ihnen zu, die Kirche der Zukunft zu gestalten. Jede Generation macht sich auf die Suche nach Glaubwürdigkeit und gelingendem Leben. Manchen hat die Kirche keine Antworten zu bieten. Viele aber nehmen Maß an ihr und an dem Leben eines alten Mannes – Johannes Paul II.

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