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Politik: Die Jüngeren interessieren sich nicht für Parteienpolitik - warum auch? (Kommentar)

Die jungen Leute wissen zu wenig über ihr Land, ihre Gesellschaft, ihr politisches System", schrieb Hans-Peter Bartels, SPD-MdB, am letzten Samstag an dieser Stelle. Deshalb seien sie politikverdrossen, ihr Bild von der Demokratie sei vorsichtig formuliert unterentwickelt und im übrigen seien sie einfach ein bisschen doof.

Die jungen Leute wissen zu wenig über ihr Land, ihre Gesellschaft, ihr politisches System", schrieb Hans-Peter Bartels, SPD-MdB, am letzten Samstag an dieser Stelle. Deshalb seien sie politikverdrossen, ihr Bild von der Demokratie sei vorsichtig formuliert unterentwickelt und im übrigen seien sie einfach ein bisschen doof.

Ist das wirklich so, frage ich mich, als Vertreterin dieser Generation. Bartels setzt Unwissen gleich mit dem Unvermögen, 15 nicht mehr lebende linke Politik-Größen auswendig zu wissen oder den Sinn des "konstruktiven Misstrauensvotums" zu erkennen. Sicher ist die Kenntnis dieser Dinge wichtig und erstrebenswert. Aber ist es das, was Politik ausmacht?

Bartels Forderung nach mehr Bildung und mehr Schule klingt schön, ist aber veraltet. Die Schulen und Universitäten stürzen trotz der vielen Proteste von einer Finanzkrise in die nächste, sind mies ausgestattet und die Lehrerschaft im Durchschnitt überaltert. Offensichtlich können sie die Dinge, die Bartels fordert, nicht leisten. Viel wichtiger als zu begreifen, wie das konstruktiven Misstrauensvotum funktioniert, ist es doch, dass man eine politische Idee, eine politische Überzeugung hat, für die man sich einsetzen will, für die es sich zu kämpfen lohnt. Natürlich gibt es die großen politischen Dauerthemen wie Rente und Steuer, aber sind das die Themen, für die sich junge Leute begeistern, in denen sie sich verlieren können? Ich denke nein. Das Problem der jungen Generation liegt doch weniger in ihrem Unwissen, als in dem Fehlen einer politischen Vision oder Idee, an die es zu glauben lohnt und die sich noch nicht als völlig irrig erwiesen hat.

Ich bewundere Politiker, die die Rentendiskussion spannend finden und sich darüber streiten, als würde ihr Leben davon abhängen. Ich kann diesen Enthusiasmus, wie viele andere meiner Generation wahrscheinlich, nicht teilen. Natürlich ist es wichtig, dass wir unser politisches System kennen und verstehen, aber daraus resultiert noch nicht zwangsweise ein politisches Engagement. Manchmal wirkt es eher abschreckend alle Abläufe, Ausschüsse zu kennen, in denen man wahrscheinlich bis zu seinem Tode debattieren kann, aber worüber eigentlich? Die Zeit der großen Streitereien zwischen links und rechts sind vorüber, die Parteien sich über die Jahre immer ähnlicher geworden. Die Masse der jungen Generation steht irgendwo dazwischen in der Mitte. Sie hat keine gemeinsamen Leitbilder mehr, wie vielleicht noch die Generation vor uns. Einerseits sind wir dadurch flexibel und weniger verführbar, andererseits erscheinen wir dadurch langweilig, brav und profillos. Bei dem Versuch, uns einen Namen zu geben, fällt uns nur Generation Golf ein. Das finde ich viel besorgniserregender, als nicht zu wissen, was das konstruktive Misstrauensvotum ist.

Es gibt momentan keine politische Idee, die uns eint oder uns rebellieren lässt. Wir sind fast schon erschreckend demokratie-verwöhnt, viele von uns haben sich in der Schule in den diversen AGs engagiert und später in der Uni in Fachschaftsinitiativen. Es wurde viel diskutiert, viel geraucht, viel Kaffee getrunken und viel gestreikt bis die meisten von uns müde und entnervt waren. Entscheidungen wurden nur selten getroffen, verändert hat sich kaum etwas oder erst Jahre später. Nicht jeder findet seine Erfüllung darin, darauf zu warten.

Die Welt ist nicht mehr so überschaubar wie Ende der 60er Jahre, in denen die jetzige Regierung sozialisiert wurde. Damals war klar, wo der Feind sitzt. Heute wechseln die Fronten ständig. Ex-Atomgegner sichern Castortransporte ab, Ex-Linke wollen die Zuwanderung von Ausländern stoppen, einst Wertkonservative verschieben Geld auf Anderkonten. Der permanent vorgelebte Opportunismus zermürbt und desillusioniert.

Bartels schreibt, man müsse die Spielregeln kennen, wenn man mitspielen wolle. Aber was ist, wenn die Spielregeln unattraktiv und verkrustet erscheinen? Erst jahrelanges Hochdienen in einer Partei und Anbiederei bei eventuellen Förderern und danach der ersehnte Posten. Wenn man oben ankommt in der Politik, scheint von der Person nicht mehr viel übrig zu sein. Ist das wirklich erstrebenswert? Diese Generation ist nicht blöd, nur etwas müde, immer wieder von Älteren darauf hingewiesen zu werden, wie wenig sie angeblich weiß. Sie entzieht sich der Politik, wie die Shell Jugendstudie belegt, und sucht ihr Glück woanders - im Beruf oder im Privaten.

Es ist verständlich, dass dies Politikern Angst macht. Politik erscheint meiner Generation nicht attraktiv, und das hat nichts mit der Unkenntnis von Spielregeln zu tun. Wir sind die Generation, die unter Kohl oder Honecker über die Hälfte ihres Lebens verbracht hat. Honeckers Politik hat sich als fataler Irrtum erwiesen, Kohl stand lange für Werte wie Treue, Vertrauen und Ehrlichkeit. Auch das hat sich nun erledigt. Und keiner wird behaupten, dass Kohl die Spielregeln nicht kannte. Er kannte sie vielleicht zu gut.

Vielleicht sollte sich die ältere Generation einmal selbst fragen, was sie für eine Figur macht, was sie uns vermittelt, und ob ihr die vermeintlich genaue Kenntnis der historischen Zusammenhänge immer den nötigen Überblick über die Gegenwart verschafft oder, ob dafür nicht neue Ideen notwendig sind. Vielleicht erscheinen wir Jungen dann Ihnen, Herr Bartels, plötzlich ganz anders.Die Autorin (27) ist freie Journalistin in Berlin und schreibt regelmäßig für den "Tagesspiegel".

Jana Simon

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