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Politik: Die Kamera als Waffe

Sicherheitsexperten befürchten weitere Hinrichtungsbilder – 30 Ausländer in der Hand von Islamisten

Der Terror hat ein neues Werkzeug. Vor über einem Monat wurden im Irak innerhalb von Tagen zahlreiche Ausländer entführt. Bis zu 70 Menschen aus 20 Nationen waren zeitweise verschleppt. Aufständische drohten mit deren Tod, sollten die Besatzungstruppen das Land nicht verlassen. Zwar wurden viele Geiseln wieder freigelassen. Doch Mitte April erschossen Terroristen einen italienischen Sicherheitsmann. Dessen Tod, wie auch jetzt die Enthauptung des Amerikaners Nick Berg, löste besonderes Entsetzen aus. Denn die Terroristen filmten die Bluttat und transportierten den Mord direkt in europäische und amerikanische Wohnzimmer.

Die Bilder wirken. Zwar haben außer den Spaniern kaum wichtige Bündnispartner den Irak verlassen. Doch in Ländern wie Japan oder Italien, in denen die Bevölkerung zum großen Teil gegen den von den Regierungen eingeschlagenen Kriegskurs war, geraten diese immer mehr unter Druck. Nach der Hinrichtung des Amerikaners Berg fürchten die Italiener nun umso mehr um das Schicksal ihrer drei Landsleute, die sich noch in der Gewalt von Geiselnehmern befinden. Aber die Besorgnis darf nicht an die Öffentlichkeit dringen; das Staatsfernsehen Rai teilte am Mittwochnachmittag beiläufig mit, Angehörige hätten sich beunruhigt zu Wort gemeldet, man berichte aber nicht weiter darüber, weil man das „Schweigen der Medien“ respektiere, das Premier Berlusconi vor zehn Tagen „zum Schutz der Geiseln“ erbeten hatte.

Zuvor hatten die Entführer „das italienische Volk“ zu Friedensdemonstrationen aufgefordert; tausende Italiener zogen deshalb vor zwei Wochen auf den Petersplatz in Rom – ergebnislos. Nun befürchtet man, die Geiselnehmer würden ihre Opfer auf jeden Fall bis zum 4. Juni festhalten. An diesem Tag kommt US-Präsident Bush nach Rom. Und die Entführer könnten Italien, das nach weithin nicht geteilten Aussagen Berlusconis „nun der engste Verbündete der USA“ ist, bis dahin zu einem Kurswechsel erpressen wollen – oder die Geiseln zum Staatsbesuch hinrichten, vor laufender Kamera.

Dieses grausame Schicksal droht jetzt vermehrt den Geiseln islamistischer Terroristen im Irak, fürchten deutsche Sicherheitskreise. Den Islamisten gehe es vor allem darum, die zum Aufbau des Landes gekommenen Ausländer zu vertreiben, sagt ein Experte. Er sieht zudem Parallelen zur Situation in Tschetschenien, wo islamistische Rebellen gezielt russische Soldaten gekidnappt und enthauptet hätten. Die Täter hätten Videos mit den Bluttaten verbreitet, um unter der russischen Bevölkerung eine Anti-Kriegsstimmung zu schüren.

Der Terrorismusexperte Berndt Georg Thamm spricht auch von einer wachsenden Gefahr für deutsche Touristen in islamischen Ländern. Es sei zu befürchten, dass Geiselnahmen als „Waffengattung“ islamistischer Terroristen zunähmen – „auch in der verschärften Form der Hinrichtung“. Nach Ansicht Thamms werden Islamisten Urlauber nicht nur entführen, um Lösegeld oder die Freilassung von Gesinnungsgenossen zu erpressen. „Touristen sind die leichtesten Ziele“, sagt er. Sein Szenario: Die spektakuläre Tötung von Geiseln wird als Mittel der psychologischen Kriegführung angewandt – mit dem Ziel, Deutschland rücke vom Antiterrorkampf der Amerikaner ab. Etwas skeptischer äußerte sich der Terrorismusexperte Kai Hirschmann. Er glaubt, dass Al Qaida weiter eher auf Anschläge mit vielen zivilen Opfern setze, so wie auf den Ferieninseln Djerba und Bali. Damals kamen insgesamt mehr als 200 Menschen ums Leben, die meisten von ihnen westliche Touristen. Geiselnahmen mit Hinrichtung seien vermutlich „nur“ als direkte Rachemaßnahme zu erwarten – wie jetzt nach den Bildern, auf denen irakische Gefangene von US-Soldaten gefoltert werden.

Es bleiben jedoch die Geiseln im Irak. Derzeit werden immer noch ungefähr 30 Ausländer von Terroristen gefangen gehalten. Und erst am vergangenen Montag sind wieder zwei russische Techniker entführt worden.

Die Enthauptung des Amerikaners Nick Berg im Irak wurde gefilmt, die Aufnahmen fanden sich auf einer islamistischen Website wieder. Die grausame Tat ist kein Einzelfall.

Im Januar 2002 entführen Terroristen in Pakistan den Journalisten Daniel Pearl. Einen Monat später taucht ein Video auf, das die Ermordung des Amerikaners zeigt.

Anfang April werden japanische Zivilisten im Irak entführt. Filmaufnahmen von ihnen gehen um die Welt. Trotz Todesdrohungen kommen sie wieder frei.

Mitte April 2004 töten irakische Geiselnehmer den Italiener Fabrizio Quattrocchi. Ein Video davon geht an Al Dschasira. Drei weitere Italiener bleiben in der Gewalt der Entführer.

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