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Politik: Die Kanzlerin greift an

Merkel wettert im Bundestag –  gegen die Opposition, nicht die Atomkraft

Von Antje Sirleschtov

Berlin - „Jetzt reicht’s aber.“ Als am Donnerstag um kurz nach halb zehn Grünen-Fraktionschefin Renate Künast diesen Aufschrei wie aus tiefster Brust herausstieß, da schien das vielen der Anwesenden im Bundestag wie eine reinigende Dusche. Schon fast dreißig Minuten lang hatte die Bundeskanzlerin über Erdbeben, Tsunami und Atomkatastrophe in Japan, die Details eines dreimonatigen Atommoratoriums in Deutschland und ihre Sicht auf die letzten zwanzig Jahre deutscher Energiepolitik gesprochen. Bei manchem hatte Angela Merkel Applaus von allen Seiten erhalten, etwa, wenn es um die Notwendigkeit schneller Hilfe für die Menschen in Japan ging. Bei einigen Passagen regten sich die Hände erwartungsgemäß nur in den Reihen von Union und FDP. Etwa als Merkel erläuterte, dass es „wahr bleibt, dass unsere Kraftwerke zu den sichersten der Welt gehören“ oder „ein Industrieland wie Deutschland nicht von heute auf morgen“ komplett auf die Atomenergie verzichten könne.

Ausführlich und immer wieder den eigenen Fraktionsmitgliedern zugewandt, die wegen der abrupten energiepolitischen Kehrtwende ihrer Chefin noch verwirrt oder verärgert waren, beteuerte die Kanzlerin, dass die allermeisten Argumente, die Schwarz-Gelb vor einem halben Jahr benutzt hat, um eine Verlängerung der Laufzeiten von Atommeilern zu begründen, auch heute noch wahr seien. Beruhigende Worte an die eigene Mannschaft, niemand soll sich schämen wegen seiner Worte von gestern. Allein die außergewöhnliche Lage in Fukushima zeige, dass „das scheinbar Unmögliche möglich wird“ und man daher „nicht einfach zur Tagesordnung übergehen darf“.

Dann jedoch entschied sich die Kanzlerin zum Angriff auf die Atompolitik von SPD und Grünen. Statt ihr, der Regierungschefin, fehlende Glaubwürdigkeit in der Atompolitik oder gar schmutzige Deals vorzuwerfen, empfahl Merkel einen selbstkritischen Blick zurück in die eigenen Regierungsjahre. Im Jahr 2000 habe Rot-Grün selbst einen Deal ausgehandelt und der Atomwirtschaft darin zugesagt, bis zur Abschaltung der Kraftwerke keine Initiativen zur Anpassung der Sicherheitsstandards zu unternehmen, sagte Merkel. Ausgerechnet sie, deren Regierung noch im Herbst 2010 eine Verlängerung der Laufzeiten verfügt hatte, warf ihren Vorgängern jetzt vor, die Sicherheit der Bevölkerung beim Atomkonsens verraten zu haben? In fassungslose Gesichter konnte man schauen auf den Plätzen der Opposition.

Es war eine Regierungserklärung der „verpassten Chancen“, wie es SPD-Chef Sigmar Gabriel später in der Lobby des Bundestages ausdrückte. Merkel habe zum Wochenbeginn den Eindruck erweckt, sie meine es ernst mit dem beschleunigten Ausstieg aus der Kernkraft. Dazu jedoch hätte sie an diesem Donnerstag eingestehen müssen, dass die Verlängerung der Laufzeiten der Kraftwerke ein Fehler war. Und sie müsse einen rechtlich klaren Weg zur Abschaltung der sieben Altkraftwerke wählen. Dem „Abschaltgesetz“, über das die SPD abstimmen lassen will, müssten Union und FDP zustimmen, um zu verhindern, dass die noch vorhandenen Reststrommengen der Altmeiler von ihren Betreibern auf die anderen Kraftwerke übertragen werden. Schließlich musste Merkel ja zur Wochenmitte zugeben, dass das Gesetz zur Laufzeitverlängerung, das den Betreibern die Chance dazu gibt, noch immer in Kraft ist. Nur so, sagte Gabriel im Plenum, könne Schwarz-Gelb den Verdacht zerstreuen, man wolle sich nur über die Landtagswahlen in zehn Tagen retten und dann die meisten der Altmeiler einfach weiterlaufen lassen. Misstrauen auf allen Seiten also. Einzig Jürgen Trittin stieg für einen Moment aus den alten Schützengräben. Wenn es jetzt um rascheren Ausbau von Energietrassen und Speichern gehe, damit erneuerbare Energien schneller ausgebaut werden, dann, sagte Trittin über die deutschlandweiten Protestbewegungen, „müssen auch wir mit unseren Leuten sprechen“.

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